Der Schönheitschirurg
Fall, daß ich allein gelassen würde.»
«Natürlich wirst du nicht allein gelassen.» Er fegte die halbgelutschten Tabletten zusammen. «Das habe ich dir doch versprochen, nicht wahr?»
«O ja, du hast es versprochen.» Ihre Stimme wurde noch schwächer. «So weiß ich, daß du mich noch liebst, nicht wahr? Auch wenn ich... auch wenn ich manchmal dumm bin.»
Daraufhin untersuchte Graham jedesmal ihren Mund, wie bei einem Kind. Aber ihre Ängste, verlassen zu werden, steigerten sich ins Untragbare, sooft er das Haus verließ. Sie beeinträchtigten seine Praxis. Das Personal drohte mit Kündigungen. Desmond wurde verängstigt. Er rief wieder den Psychiater. Nahezu beiläufig erwähnte Dr. Dency: «Haben Sie je an ein Heim gedacht?»
«Das könnte ich ihr unmöglich antun», wandte Graham sofort ein.
«Es wäre schon allein wegen des Selbstmordrisikos gerechtfertigt, Graham. Sie können nicht ewig der Wärter Ihrer Frau sein.»
«Nein, nein, das kommt nicht in Frage.»
Nach einer Woche begann er sich zu fragen, ob es nicht vielleicht doch keine so schlechte Idee sei. Sie wäre gut versorgt. Es würde nicht mehr sein Heim und seine Arbeit zerstören. Es wäre besser für Desmond. Eine enorme Verantwortung wäre von seinen Schultern genommen. Aber es graute ihr ja gerade davor, unter Fremden gelassen zu werden. Es wäre ganz unmenschlich, sie dem absichtlich auszusetzen. Andererseits wäre es ungeheuer günstig. Im Grunde genommen kam alles wahrscheinlich auf die alte Frage hinaus: Liebte er Maria oder nicht? Er dachte noch eine Woche lang darüber nach. Dann fragte er den Psychiater. Dr. Dencys lange Finger spielten mit den Goldstäbchen an seiner Uhrkette. «Ich glaube nicht, daß die Liebe zu Ihrer Frau mit dieser Entscheidung wirklich zu tun hat, Graham», riet er mit seiner weichen Stimme. «Sie leiden an Schuldgefühlen Maria gegenüber, das ist alles. Sie haben eine ähnliche Angstneurose, verstehen Sie. Glücklicherweise sind Sie imstande, das außerordentlich gut zu kompensieren.»
«Aber ich liebe sie doch. Also... ich nehme es an. Jedenfalls muß ich sie doch sicher einmal geliebt haben? Als ich sie heiratete?»
«Sie haben Schwierigkeiten, Ihre Stimmungen von Ihren Gefühlen zu unterscheiden. Aber keiner von uns darf der Sklave der einen oder der anderen werden.»
«Was wollen Sie damit sagen? Daß ich hoffe, mich davon zu überzeugen, daß ich Maria noch liebe, bloß um die Schuld zu löschen, die ich wegen verschiedener Dinge fühle, die ich ihr angetan habe?»
«Ja», sagte Dr. Dency.
«Nun denn, wohin geben wir sie?» fragte Graham.
Der Psychiater empfahl eine diskrete Institution inmitten entzückender Landschaft in Sussex, wo leicht verrückte vornehme Leute in ihrem gewohnten Komfort untergebracht waren. Graham besuchte sie mit Desmond an einem Wochenende im Monat. Die anderen verbrachte er gewöhnlich mit Jeannine in seinem Landhaus. Er gab einem Gemüsehändler im Ort den ständigen Auftrag, seiner Frau einen großen Korb mit frischem Obst zu schicken, regelmäßig jeden Samstagvormittag.
28
Es waren drei erschöpfende Monate gewesen, und Graham war froh darüber, sich jetzt von den Stewards des Transatlantikschiffes fünf Tage lang gründlich verwöhnen zu lassen, bis nach Southampton. Er reiste viel zuviel. Er hatte die plastische Chirurgie bei Vorträgen in Kenia und Tanganjika in die Kolonien getragen, er war in Prag herzlich empfangen worden, allerdings weniger herzlich in Berlin. Schweden und Dänen war sein Name aus den Zeitungen ebenso bekannt wie der Mr. Edens, sein Aufklärungsfeldzug in Madrid wurde nur vom Bürgermeister vereitelt. Die Dominions hatten ihn großartig auf genommen, die Vereinigten Staaten aber hatten alle Welt an Begeisterung und Gastfreundlichkeit weit übertroffen. In San Francisco war er feierlich über die erstaunliche neue Golden-Gate-Brücke gefahren worden, in New Orleans hatte er inmitten eines Regiments von Negerdienern in Edwardischem Luxus gelebt, in New York hatte es ihm so gut gefallen, daß er versprach, im kommenden Jahr zur Weltausstellung wiederzukommen. In Washington war er dem Präsidenten vorgestellt worden, der aus seinem Rollstuhl lächelte, und in Los Angeles war er Ginger Rogers vorgestellt worden. Er bedauerte nur zwei Dinge: daß er die Rückfahrt mit der nagelneuen Queen Mary versäumen und die vielen Leute enttäuschen mußte, die ihn nach minutenlangem Gespräch fragten, ob er Mrs. Simpson persönlich kenne.
Im August 1938
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