Der Schönheitschirurg
die Schultern. Er nahm an, daß eine bösartige Hypertonie in London ebenso tödlich gewesen wäre.
«Hier sind ein paar von seinen Sachen. Ich glaube, er wollte, daß du sie haben solltest.»
Sie nahm ein zerknülltes Manilakuvert aus ihrer schwarzen Handtasche, in dem einige Manschettenknöpfe, ein Satz Perlenfrackknöpfe und eine goldene Taschenuhr waren. Graham zog sie langsam auf. Er erinnerte sich, wie Robin die Uhr am Tage seiner Promotion als geziemend würdiges Instrument zum Pulszählen gekauft hatte.
«Also!» Edith richtete sich gerade. Graham sah, daß Robin ein für sie qualvolles Thema war, das sie fallenlassen wollte. «Wie geht es Maria jetzt?»
Er legte das Kuvert zur Seite. «Es geht so auf und ab, weißt du. Im Augenblick ist sie eher krank.»
«Armes Wesen.» Edith griff nach ihrer Teetasse, die aus feinstem Porzellan war und von Harrods stammte. «Soll ich hinaufgehen und sie besuchen?»
«Natürlich! Sie würde sich sehr freuen. Aber was ist mit dir?» erkundigte sich Graham eindringlich. «Was wirst du jetzt so allein in England tun?»
«Oh, ich komme schon zurecht», antwortete sie zuversichtlich. «Ich werde eine Stelle finden. Vielleicht als Gesellschafterin einer Dame. Du weißt ja, ich kann Kranke pflegen, und Robin hat mir eine Menge medizinischer Dinge beigebracht. Außerdem habe ich das Maschineschreiben auch nicht verlernt.»
Graham fand diese Unabhängigkeitserklärung ermutigend. Er hatte gefürchtet, Edith würde ihnen bei Kost und Quartier am Hals hängen, und man konnte nie wissen, wohin das führen mochte. Außerdem lebte er ohnedies über seine Verhältnisse, und die Steuern standen immer noch auf Snowdens Krisenhöhe von fünf Shilling pro Pfund. Aber er war immer verblüfft über die sachliche Robustheit ihrer Persönlichkeit, die stürmische Gezeiten überdauerte, die seinesgleichen als Schotter fortgeschwemmt hätten. Als er den Kopf fragend gegen ihren Sohn wandte, erklärte sie: «Ich möchte, daß Alec Arzt wird, weißt du. Wie du und sein Vater. Er ist schrecklich gescheit und furchtbar lieb, ehrlich.»
«Ja, das ist er sicher», sagte Graham. Er betrachtete den zukünftigen Kandidaten für seinen Beruf, die Verkörperung von Ediths gesellschaftlichem Ehrgeiz, den sie nun in ihm zu erfüllen trachtete. Er trat nicht mehr gegen seinen Stuhl und spielte statt dessen mit seinem Jo-Jo. Sie setzte abrupt ihre Teetasse ab. «Alec, Liebling, geh einen Moment hinaus. Ich möchte mit deinem Onkel Graham sprechen.»
Der Junge ging folgsam zur Vorzimmertür. Graham überlegte beunruhigt, worüber sie denn mit Onkel Graham sprechen wollte.
«Ich bin sicher, daß Alec ein wunderbarer Arzt würde», begann Edith. «Es liegt im Blut, nicht wahr? Ich möchte so gern, daß er Medizin macht. Aber ich könnte die Kosten natürlich nicht allein aufbringen. Robin hat wenig hinterlassen, und die Pension ist jämmerlich. Ich dachte, vielleicht hilfst du aus. Weißt du, nur eine Anleihe. Er würde es zurückzahlen, sobald er erwachsen ist und verdient. Viele Studenten machen es so, nicht wahr? Robin hat es mir erzählt. Es ist eine furchtbare Zumutung, ich weiß. Ich hoffe, du bist nicht böse, daß ich dich überhaupt frage. Es wäre natürlich alles ganz anders, wenn nur der Professor diese Frau nicht kennengelernt hätte.»
Graham fand, dies sei irgendwie eine harte Nuß. Eine medizinische Ausbildung würde einiges kosten.
«Ich schmarotze bei dir nur um der alten Zeiten willen», fügte Edith mit unterdrückter Stimme hinzu.
Alte Zeiten! dachte Graham. Die Spanne meiner frühen Idiotien. Er sah wieder den Bettknauf des Professors über das Linoleum rollen. Aber er war Edith wirklich aufrichtig zugetan - viel mehr, als wenn er sie tatsächlich geheiratet hätte. Die ideale lebenslange Beziehung zu einer Frau, vielleicht.
«Natürlich erwarte ich nicht, daß du dich hier und jetzt entscheidest, Graham.»
«Aber ich habe mich entschieden. Ich tu’s», beschloß Graham impulsiv. Trotz seinem Egoismus war er bis zur Dummheit großzügig. Er war zu viel weniger wertvollen Frauen mit Ketten und Armbändern nett gewesen, und ein medizinisches Doktorat konnte man später nicht herzlos verpfänden. «Ich habe für Desmonds Erziehung ein Vermächtnis aufgesetzt, und ich nehme an, Alec kann da irgendwie mit einbezogen werden. Wir gehen zu meinem Anwalt und lassen ein rechtskräftiges Dokument aufsetzen. Sobald du willst.»
«Oh, Graham!» Sie stand auf und trat zu ihm. «Es war meine
Weitere Kostenlose Bücher