Der Schoenste Fehler Meines Lebens
das Kleingeld in ihrer Geldbörse zu zählen. Sie hatte noch einen Dollar und sechs Cent.
Als sie von der Werkstatt wegfuhr, stellte sie sich der Tatsache, die sie am allerwenigsten anerkennen wollte. Sie war ganz unten angekommen. Sie war halb verhungert, verdreckt, und dem einzigen Zuhause, das sie hatte, ging der Sprit aus. Von allen ihren Freundinnen würde Georgie York Shepard am leichtesten zu erweichen sein. Die unermüdliche Georgie, die selbst für ihren Lebensunterhalt gesorgt hatte, seit sie ein Kind war.
Georgie, ich bin es. Ich habe kein Ziel und keine Disziplin, und ich brauche dich, damit du dich um mich kümmerst, weil ich nicht für mich selbst sorgen kann.
Ein Wohnmobil schaukelte vorbei und fuhr Richtung Stadt. Sie konnte unmöglich wieder zurück zur Kiesgrube fahren und sich noch eine weitere Nacht lang einreden, dass dies einfach ein neues Reiseabenteuer war. Natürlich hatte sie auch früher schon an dunklen, gruseligen Orten geschlafen, aber nur für ein paar Tage und immer mit einem freundlichen Führer in der Nähe und einem Viersternehotel, das am Ende der Reise auf sie wartete. Was sie jetzt hingegen erlebte, war Obdachlosigkeit. Sie war nur einen Schritt davon entfernt, mit einem Einkaufswagen durch die Straßen zu ziehen.
Sie sehnte sich nach ihrem Vater. Wollte, dass er sie fest an sich drückte und ihr versicherte, dass alles gut sei. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, die ihr übers Haar strich und ihr versprechen musste, dass sich keine Ungeheuer im Schrank aufhielten. Sie wollte sich in ihrem alten Zimmer zusammenrollen, in dem Haus, wo sie sich immer rastlos gefühlt hatte.
Aber sosehr ihre Eltern sie auch liebten, respektiert hatten sie sie nie. Genauso wenig wie Dylan, Clay oder ihr Onkel Michel. Und wenn sie erst mal Georgie um Geld angehauen hatte, würde auch diese sich bei ihnen einreihen.
Meg fing zu weinen an. Aus Abscheu vor der hungrigen, heimatlosen Meg Koranda, der alle Vorteile in die Wiege gelegt worden waren, die aber dennoch nichts mit sich anzufangen wusste, vergoss sie dicke Kullertränen. Sie bog von der Straße auf den verwahrlosten Parkplatz eines geschlossenen Rasthauses ab. Sie musste Georgie jetzt sofort anrufen, bevor ihr Vater sich daran erinnerte, dass er noch immer ihre Telefonrechnung bezahlte.
Sie strich mit ihrem Daumen über die Tasten und versuchte sich vorzustellen, wie Lucy wohl zurechtkam. Auch ihre beste Freundin war nicht nach Hause zurückgekehrt. Was machte sie, um sich über Wasser zu halten, und warum hatte Meg das nicht auch für sich entdeckt?
Eine Kirchturmuhr schlug sechs Uhr und erinnerte sie an die Kirche, die Ted Lucy als Hochzeitsgeschenk vermacht hatte. Ein Kleinlaster mit einem Hund auf der Ladefläche ratterte vorbei, und das Telefon rutschte Meg aus den Fingern. Lucys Kirche! Die leer stand.
Sie erinnerte sich, dass sie auf ihrem Weg dorthin am Country Club vorbeigekommen waren, weil Lucy sie darauf hinwies. Sie erinnerte sich an viele Kurven und Windungen, aber Wynette hatte so viele kleine Nebenstraßen. Welche hatte Lucy genommen?
Zwei Stunden später, als Meg schon aufgeben wollte, fand sie, wonach sie suchte.
Kapitel 6
Die alte Holzkirche stand etwas erhöht am Ende einer Schotterstraße. Megs Scheinwerfer erfassten den gedrungenen weißen Kirchturm direkt über dem Haupteingang. Im Dunkeln konnte sie den rechts liegenden überwucherten Friedhof nicht erkennen, aber sie erinnerte sich, dass es ihn gab. Sie erinnerte sich außerdem, dass Lucy einen versteckten Schlüssel von irgendwo unterhalb des Treppensockels hervorgeholt hatte. Sie richtete ihre Scheinwerfer auf den Eingang des Gebäudes und begann zwischen den Steinen und dem Gestrüpp herumzusuchen. Der Kies drückte sich in ihre Knie, und sie schürfte sich ihre Knöchel auf, allerdings konnte sie keinen Schlüssel finden. Ein Fenster einzuschlagen erschiene ihr als Sakrileg, aber reinkommen musste sie.
Im grellen Scheinwerferlicht warf sie einen grotesken Schatten auf die schlichte Holzfassade. Doch als sie schon zum Wagen zurückkehren wollte, entdeckte sie die grobe Skulptur eines Froschs, der unter einem Strauch hockte. Sie hob ihn hoch und fand darunter den Schlüssel. Den verwahrte sie sicher und tief in ihrer Tasche, ehe sie die Rostlaube parkte, ihren Koffer herausholte und die fünf Holzstufen hinaufstieg.
Von Lucy hatte sie erfahren, dass die Lutheraner die winzige Dorfkirche irgendwann in den Sechzigerjahren verlassen hatten. Zwei Bogenfenster
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