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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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könnte.
    Na ja, er hatte diesen bombenfesten Reifen gewechselt, aber
erst hatte sie stundenlang warten müssen, und er hatte sie die ganze Zeit spüren lassen, was für Umstände sie ihm machte. Es wäre besser gewesen, Kjartan anzurufen und ihn zu bitten, ihr zu helfen. Kjartan hätte davon noch tagelang gezehrt, und die Frau wäre zu einer anständigen Zeit nach Hause zu ihren Kindern gekommen, anstatt steif und müde, vielleicht mitten in der Nacht, in einem fremden Sessel aufzuwachen, der nicht besonders bequem zum Sitzen war, geschweige denn zum Schlafen.
    Es war ihm ganz recht geschehen, dass sie das arme Püppchen mitgenommen hatte. Bestand Hoffnung, dass sie es zurückbrachte? Vielleicht würde sie es nicht schaffen, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, aber sie konnte die Puppe ja draußen ablegen, sie auf die Wiese legen, so dass sich ihr Haar über die Grashalme ergoss.
    Das wäre alles andere als ein hässlicher Anblick. Die Schwarzhaarige war eines der schönsten Produkte, die er je angefertigt hatte, sie war so gut wie perfekt. Er hatte selbst beträchtlichen Einfluss auf das Resultat gehabt. Kjartan hatte ihn gebeten, ihn zu beraten, und am Ende sämtlichen Vorschlägen mit respektvoller Zurückhaltung zugestimmt.
    Sveinn blieb mitten auf der Straße stehen und begutachtete das Haus, in dem er wohnte. Die fensterlose Baracke und die weiße Betonwand des Anbaus. Die tomatenroten Fensterrahmen, die er an einem nebelgrauen, frostfreien Tag letzten Monat endlich gestrichen hatte, im Vertrauen darauf, dass es nicht regnen würde.
    Es hatte nicht geregnet.
    Er mochte dieses Haus, wollte aber nicht reingehen. Noch nicht. Er wollte draußen bleiben und spüren, wie sich seine Brust durch einen frühlingshaften Urschrei, der in ihm anschwoll, weitete. Das Einzige, was er brauchte, war ein Vorwand.
Ziellose Spaziergänge konnte er nicht ausstehen. Die waren was für Dichter und Leute, die abnehmen mussten.
    Als Sveinn hinter sich ein Auto näherkommen hörte, trat er an den Straßenrand, und da fiel ihm ein, dass er Glühbirnen, Geschirrspülmittel und ein paar Lebensmittel benötigte. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Einarsbúd. Es machte nichts, dass er kein Geld dabeihatte; er würde bis zum nächsten Mal anschreiben lassen.
    Die Meeresbrise zerzauste sein Haar und brauste in seinen Ohren, aber die Luft war dennoch ziemlich warm. Der Frühling hatte sich eingeschlichen, während er sich drinnen mit saurem Silikongeruch herumgeschlagen und nichts Vernünftiges gedacht hatte. Nichts als den nächsten Handgriff im Kopf und den übernächsten und überübernächsten. Wie viele Gussformen von jener Sorte er brauchte. Soundso viele Kilo Silikonpulver, soundso viele Liter Härtemittel, ein bisschen Farbe in die erste Mischung, gut, aber vorsichtig umrühren. Das Skelett aus Stahl und Glaswolle zur letzten Ruhe in die makellose Hauthülle betten, Vorder- und Rückseite zusammenkleben und dann die letzte Schicht überpinseln. Immer dasselbe und in derselben Reihenfolge. Genial oder trostlos, je nachdem, wie man es sah.
    Er stieß die Ladentür auf und stolperte fast über ein kleines Kind auf einem Dreirad, das zu ihm hochstarrte. Mit seiner grünen Kniehose, seinem blauen, gestrickten Kapuzenpulli und schulterlangem Engelshaar hätte es sowohl ein Mädchen als auch ein Junge sein können.
    Lebensmittelgeschäfte verstärkten den Nebel in Sveinns Kopf gewaltig und stressten ihn, sei es wegen seiner Entscheidungsunfähigkeit oder aus einem anderen Grund. Meistens plante er genau, was und in welcher Reihenfolge er einkaufen wollte,
aber diesmal war er gedankenversunken und schlecht vorbereitet. Außerdem hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden, und dachte darüber nach, wie viele Leute im Laden wohl den Artikel über den Selbstmord gelesen hatten, wie viele wussten, wer er war, und im Geiste ihren ganzen Hass auf die moderne Welt an ihm ausließen. Wer von ihnen sein Foto in der Zeitung genau studiert und geglaubt hatte, in seinen Gesichtszügen etwas Unanständiges zu sehen, dann mit einer Mischung aus Zufriedenheit und Grauen erschauert war, weil eine solche Skandalmeldung ihren Ursprung direkt hier im übernächsten Haus hatte.
    Anstatt sich unter dem neugierigen Blick des Kindes einmal um sich selbst zu drehen, beschloss er, direkt auf das Regal mit den Glühbirnen zuzusteuern und sich in aller Ruhe einen Plan zurechtzulegen, während er die passenden Birnen in den Korb legte. Er

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