Der Schoepfer
immer noch an derselben Stelle im Sessel neben dem Bett, mit Ínas buntem Blumenhut auf dem Kopf – Ína war bestimmt am Abend in Margréts Zimmer geschlichen, ohne dass Lóa es gemerkt hatte. Die Kleine war natürlich neugierig auf die Puppe, obwohl Lóa überrascht war, dass sie sie beim Abendessen mit keinem Wort erwähnt hatte.
Margrét nahm im Bett so gut wie keinen Platz in Anspruch. Die große, leere Fläche neben ihr bot einen genauso ergreifenden Anblick wie sie selbst mit ihren scharfen Wangenknochen und hervorstehenden Augen, und Lóa hätte sich am liebsten zu ihr gelegt, um sie zu wärmen, ihr das Haar aus der Stirn zu streichen und die Leere neben ihr zu füllen, aber sie wusste, dass Margrét das nie zulassen würde.
»Kannst du nicht schlafen, mein Schatz?«, fragte Lóa.
Margrét zuckte gleichgültig mit der Achsel.
Lóa fragte sie nicht, ob sie sich mit der Puppe besser fühlte, denn sie wusste, dass Margrét, unabhängig davon, ob ihr die Sache gefiel, ohnehin eine patzige Antwort geben würde. Außerdem war die Puppe nicht nur als Aufmunterung gedacht, sondern auch als eine Art Medikament.
Lóa umfasste die Hände der Puppe – es war nicht so, wie die Hände einer schlafenden Person zu berühren, sondern fast so, als würde die Puppe ihren Griff erwidern –, wuchtete sie vom Sessel hoch, ließ sie dann vorsichtig aufs Bett gleiten und legte sie neben Margrét, halb auf die Bettdecke.
Margrét würdigte die Puppe keines Blickes, sondern schaute ihre Mutter weiter an. Sie sagte nicht: »Du riechst nach Alkohol,
Mama« oder: »Du bist verrückt.« Aber vielleicht dachte sie beides.
Lóa nahm die zusammengelegte Wolldecke von der Sessellehne und breitete sie über die Puppe. Es war zu kühl, sie ohne Decke daliegen zu sehen, obwohl sie einen Schlafanzug anhatte, dessen Oberteil bis zum Hals zugeknöpft war.
Margrét drehte sich weg und schloss die Augen, und Lóa tat so, als sei alles ganz normal, als würde Margrét wirklich einschlummern und als sei sie eine dieser stocknüchternen Mütter, die jeden Abend fernsahen. »Gute Nacht«, flüsterte sie und zog leise die Tür zu.
Als sie zurück ins Esszimmer kam, hatte Björg die Beine übereinandergeschlagen und blätterte in einer alten Ausgabe von Lebendige Wissenschaft . Björgs Kurzsichtigkeit wurde schlimmer, wenn sie müde war, und da sie sich so über die Zeitschrift beugte, musste sie müde sein. Aber sie schien Lóas Bedürfnis nach Gesellschaft bemerkt zu haben.
Björg legte die Zeitschrift weg und sagte: »Ich hab dich noch nie klagen oder jammern hören – noch nicht mal in Situationen, die jeden anderen ziemlich fertig machen würden.«
Lóa schüttelte vehement den Kopf. »Das ist doch Unsinn.« Trotzdem drang das Lob in einen empfindlichen Teil ihres Gehirns, den der Wein noch nachgiebiger gemacht hatte. Immer, wenn die Sprache auf klagende Frauen kam, regte sie sich auf und wollte auf keinen Fall so sein.
»Wie geht es dir denn eigentlich, Liebes?«, fragte Björg. »Ist es ein Geheimnis, was du letzte Nacht gemacht hast?«
Lóa schüttelte wieder den Kopf. »Ich wollte nicht die ganze Nacht wegbleiben.«
»Was wolltest du denn?«
»Ich hab nur einen Ausflug gemacht, nach Akranes.«
Björg lachte. »Nach Akranes? Kennst du da jemanden?«
Lóa musterte ihre Fingernägel, knabberte an einem, besann sich dann und ließ ihre Hand in den Schoß fallen. Sie hatte ihr ursprüngliches Anliegen fast vergessen, und als sie jetzt davon erzählen sollte, fand sie es idiotisch. Sie konzentrierte sich darauf, ihren Bericht so zu gestalten, dass sie das Schlimmste für sich behielt. Sie traute sich zum Beispiel nicht, Björg zu sagen, dass ihre ursprüngliche Rechtfertigung dafür, die Mädchen zwei Stunden lang alleine zu lassen, die gewesen war, dass sie dann vielleicht nichts trinken würde. Und sie hatte plötzlich das dringende Bedürfnis gehabt, so weit wie möglich von diesem Haus wegzukommen, das sie immer mehr einengte, bis sie sich wie lebendig begraben fühlte.
»Erinnerst du dich noch an Marta? Die kleine, alte Frau, die letzten Winter auf die Mädchen aufgepasst hat?«, fragte Lóa und bekam einen trockenen Mund bei dem Gedanken an die Ereignisse, die sie gerade heraufbeschwor.
Björg winkte ab und sagte: »Dunkel. Ich war zu der Zeit so besessen von dem rothaarigen Börsenmakler, dass ich dich nicht gerade oft besucht habe.«
»Ja, wir haben dich schmerzlich vermisst«, sagte Lóa und musste kurz nachdenken, bevor
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