Der Schoepfer
sie weitersprach: »Marta war ein bisschen seltsam, aber nett zu den Mädchen, und sie hat alles sauber gehalten, ohne dass ich sie besonders darauf hinweisen musste. Ich hatte das Gefühl, sechs Richtige im Lotto zu haben, und dachte, sie würde ein Teil unseres Lebens werden, auch wenn Ína keine Betreuung mehr bräuchte. Sie war alleinstehend, und wir hätten ihre Familie sein können.«
Björg nickte, und die Müdigkeit in ihren Augen wurde von Neugier verdrängt.
»Aber dann hat Ína irgendwann erzählt, sie hätte Glasstückchen
in dem Sandwich gefunden, das Marta ihr für die Schule geschmiert hatte. Sie hat immer wieder davon geredet, so als sei das wirklich passiert. Schließlich habe ich sie gefragt, ob das öfter als einmal passiert wäre. Sie sagte, es sei nur das eine Mal passiert, und ich musste es ihr einfach glauben, zumal sie ganz begeistert war von Marta und überhaupt keinen Grund hatte zu lügen. Ich habe mich aber nicht getraut, Marta weiter zu beschäftigen, und sie rausgeschmissen, obwohl wir das alle bedauert haben. Besonders Margrét. Margrét hat Marta viel mehr vertraut als mir, und manchmal war ich ein bisschen eifersüchtig, aber doch in erster Linie froh, dass sie jemanden hatte, dem sie sich anvertrauen konnte.«
Lóas Augen füllten sich mit Tränen, aber sie behielt ihre Stimme unter Kontrolle. »Margrét war schon immer so verschlossen. Sie unterdrückt sämtliche Gefühle. Schon als sie ganz klein war, bevor sie sprechen gelernt hat. Kinder sind unkontrolliert, sie lassen alles raus, Margrét nicht. Es ist, als wäre sie mit dieser Selbstkontrolle auf die Welt gekommen.«
Björg stand auf und ging wieder zum Fenster. Spielte mit dem Mobile, das Ína Margrét zu Weihnachten geschenkt hatte: weiße Engelchen aus Ton mit gelben Trompeten. Björg piekste ihnen in den Bauch, schaute zu, wie sie schwebten, und sagte: »Ich weiß. Margrét war schon immer speziell, das bravste Kind, das ich je kannte. Ich weiß noch, als ich das erste Mal auf sie aufpassen sollte, da hast du mich gebeten, auf keinen Fall laut zu werden. Es würde reichen, ihr ganz ruhig Anweisungen zu geben. Und das stimmte, sie hat sofort alles gemacht, was ich gesagt habe. Ich hätte sie am liebsten behalten.«
»Du kannst ruhig am Tisch rauchen«, sagte Lóa. »Wir lüften nachher einfach ausgiebig.«
Björg setzte sich und steckte die Hände tief in ihre Hosentaschen.
Die empfindsamen Züge um ihren Mund gaben zu erkennen, wie nah ihr Margréts Krankheit ging.
Lóa schaute weg. Merkwürdig, dass sie zwar ein großes Bedürfnis nach Anteilnahme hatte, es aber nicht ertragen konnte, wenn sie sie bekam. Sie erzählte weiter, obwohl sie immer angespannter wurde:
»Marta hat nur gelächelt und so getan, als sei gar nichts passiert, als ich ihr gekündigt habe. Es war unheimlich, so als sei sie gar kein Mensch. Es ist schwer, das jemandem zu beschreiben, der nicht dabei war, aber ich hatte den Eindruck, einer Person gegenüberzustehen, die keine Ahnung hat, welche Gefühle angemessen sind. Ich habe eine unbeschreibliche Abscheu gegen sie entwickelt. Mir ist klar geworden, dass ich sie die ganze Zeit nicht leiden konnte, es mir aber nie eingestanden habe, und ich war richtig erleichtert, als sie weg war. Ich hatte keine Zweifel mehr, dass es die richtige Entscheidung war.« Lóa schaute zu Björg, die tiefe Falten zwischen den Augen und den Mund halb offen stehen hatte, als sei sie sich nicht sicher, ob sie das richtig verstanden hätte.
»Ich verstehe dich nicht«, sagte sie. »Warum wolltest du unbedingt, dass sie sich schlecht fühlt, wenn du ihr kündigst? Sie kann doch ihre Gründe gehabt haben, so zu reagieren.«
Lóa schüttelte schon den Kopf, bevor Björg ihren Satz beendet hatte. »Nein«, sagte sie. »Erstens hat sie die Mädchen vergöttert und immer so geredet, als sei sie sich sicher, mit ihnen zusammenzubleiben, bis sie stirbt. Sie hat von der Zukunft geredet, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Was sie Margrét zur Hochzeit schenken würde, falls sie diesen gesegneten Tag noch erleben dürfte, und so weiter. Zweitens war sie naiv genug, mir zu erzählen, dass sie außer mir keiner einstellen wollte. Nein, niemand in ihrer Situation hätte sich ohne Murren damit
abgefunden. Es war so, als wüsste sie nicht, dass sie volles Anrecht darauf hätte, enttäuscht zu sein und eine Erklärung zu verlangen. Es war, als hätte sie keine Ahnung, dass es normal ist, traurig oder sogar wütend zu sein und
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