Der Schoepfer
rumgetrampelt bin«, sagte Lóa. »Ich hatte schon mein Handy rausgeholt und wollte gerade jemanden anrufen, da ist ein Mann aus dem Haus gekommen, vor dem ich stehen geblieben bin, nachdem ich von der Hauptstraße abgebogen war. Ich hatte keine Ahnung, wer da wohnt. Ich glaube, da war früher eine Autowerkstatt. Am Ortsrand stehen ja viele solche Baracken. Er hat mir seine Hilfe angeboten, aber gesagt, er müsste erst zu Ende essen. Ich wollte schon ablehnen, weil der Mann ziemlich unfreundlich war, aber dann hat er ein Gesicht gemacht, als würde die Welt zusammenbrechen,
wenn er meinen Reifen nicht wechseln dürfte, also hab ich gedacht, es ist wohl eine Frage der Ehre, und dass er als echter Provinzler nicht mehr weiterleben kann, wenn er nicht gastfreundlich ist, sogar einem ungebetenen Gast gegenüber, der vor seinem Haus gestrandet ist.«
Björgs Bein stand still, und stattdessen nickte sie, als sei ihr der Paukenschlag zu Kopf gestiegen. Eine schwarze Locke, die sie sich sorgfältig hinters Ohr geklemmt hatte, fiel ihr in die Stirn, quer über ihre ebenso schwarzen Augenbrauen, und zusammen bildeten sie ein waagerechtes Kreuz vor einem bleichen Hintergrund. Björgs Haut war nach dem Winter oft milchig weiß, und wenn ihre Lippen röter gewesen wären, hätte die Beschreibung aus dem Märchen gut auf sie gepasst: Haare wie Ebenholz, Haut wie Schnee, Lippen wie Blut.
Lóa zögerte, unsicher, wie sie weitererzählen sollte. Wenn sie ausließ, dass sie den einschläfernden Inhalt zweier Flaschen Wein geleert hatte, würde Björg denken, sie sei einfach so mit einem fremden Typen ins Bett gegangen.
Sie atmete in zwei nervösen Zügen tief ein und fügte hinzu: »Er hat mir Rotwein angeboten, und ich habe ein halbes Glas angenommen, ich wollte es nur aus Gesellschaft trinken, oder um meine Nerven zu beruhigen oder einfach um mich für mein Unglück zu entschädigen – ich weiß nicht mehr genau, was ich gedacht habe. Wir haben uns unterhalten, und plötzlich war ich total betrunken und bin im Sessel im Wohnzimmer eingeschlafen. Gegen sechs bin ich wieder aufgewacht und habe gehofft, zu Hause zu sein, bevor die Mädchen wach werden, aber Ína war natürlich schon auf den Beinen.« Lóa lächelte müde und wunderte sich immer noch darüber, dass Ína die Puppe nicht mehr erwähnt hatte. Ausgerechnet Ína, die ein
unkontrollierbares Bedürfnis hatte, alles zu erzählen, was ihr in den Sinn kam. Vielleicht hatte sie die Geheimniskrämerei ihrer Mutter gespürt – Ína war bereits Spezialistin darin, zwischen den Zeilen zu lesen.
»Du bist drei, vier Stunden, nachdem du besoffen eingeschlafen bist, Auto gefahren?«
In Lóas Innerem türmten sich in Sekundenschnelle Steine zu einer Schutzmauer auf, und sie spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten, bevor sie ein Wort herausbringen konnte. »Was hätte ich denn tun sollen?« Ihre Stimme war fast eine Oktave höher als sonst. »Sollte ich mich an die Straße stellen und auf den Bus warten? Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe, als ich total verkatert in diesem Sessel aufgewacht bin, und die Mädchen alleine zu Hause? Ich mache mir schon genug Vorwürfe, da musst du nicht noch in der Wunde rumstochern!«
Björg schaute zu dem Mobile, wo sich die Engel mit den Trompeten umeinander drehten.
»Ich stochere in nichts rum«, sagte sie schließlich und zog die Ärmel ihres Pullis über ihre Hände. Sie ballte ihre Hände um die Bündchen zu Fäusten und wedelte mit den Armen. »Siehst du? Die Katze hat ihre Krallen eingezogen«, sagte sie. »Jetzt kann die Maus aus ihrem Loch kommen.«
VII
Samstag
Sveinn stand in der Küche auf einem Stuhl und drehte die kaputte Glühbirne aus der Fassung. Sie war so brüchig, dass er sie festhalten musste, um sie nicht aus dem Gehäuse zu lockern. Alte Farbe und rostbrauner Staub rieselten ihm in die Haare und in die zusammengekniffenen Augen. Er steckte die Glühbirne in seine Hosentasche und stützte sich mit der linken Hand an der Decke ab, während er die neue Birne aus der anderen Hosentasche fischte.
Er zwängte sie in die Fassung, und es knirschte. Als die Birne plötzlich zwischen seinen Fingern anging, erschrak er so sehr, dass er vom Stuhl springen musste, um nicht nach hinten zu kippen.
Die Glühbirne war gestern Abend am Ende der schweigsamen Mahlzeit geplatzt, nachdem er von seinem leeren Teller aufgeschaut und festgestellt hatte, dass sein Gast am anderen Ende des Tisches zu einem undefinierbaren Schattenbild
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