Der Schoepfer
zu weinen. Darauf hatte ich mich vorbereitet und ihr sagen wollen, dass sie natürlich so oft sie wollte zu Besuch kommen könnte, aber dann war ich so verwirrt, dass ich es gelassen habe. Ich hatte plötzlich eine solche Abneigung gegen sie, dass ich mich beherrschen musste, sie nicht rauszuwerfen und die Tür zuzuknallen.«
Lóa verstummte, trank ihr Glas aus und wunderte sich, dass sie noch so nüchtern war. Sie hatte einen merkwürdigen Pulsschlag ganz unten im Hals und das Gefühl, ständig schlucken zu müssen. Sie legte die Hand auf ihren Hals und fügte hinzu: »Dann ist das Au-pair-Mädchen von den Färöern gekommen und ein Jahr bei uns geblieben. Danach habe ich mir wegen Margrét frei genommen, und du weißt ja, dass ich noch niemand Neues gefunden habe. Das Letzte, was ich von Marta gehört habe, ist, dass sie in Akranes einen Platz im Altenheim bekommen hat.«
»Jetzt verstehe ich«, sagte Björg. »Du wolltest zu Marta und sie bitten, mit Margrét zu reden.«
»Nein«, sagte Lóa. »So weit wollte ich nicht gehen. Ich wollte nur überprüfen, ob sie wirklich in Akranes wohnt, und bei ihr vorbeischauen. Aber kurz hinter der Ortsgrenze ist mein Reifen geplatzt. Deshalb weiß ich noch nicht mal genau, wie das dortige Altenheim aussieht.«
»Warum hast du nicht einfach den Reifen gewechselt? Hast du im Auto geschlafen?«
Björg schaute Lóa einen Moment an, und als die Antwort auf sich warten ließ, reckte sie sich nach einer Packung Räucherstäbchen, die die letzten Monate auf der Fensterbank gelegen
hatte, von der Sonne schon ganz ausgebleicht war und aussah, als sei sie ein paar mal nass geworden; das Papier war wellig und zerknittert. Björg öffnete die Packung und zog ein Stäbchen heraus, ganz vorsichtig, aber trotzdem rieselten Krümel auf die Tischplatte. Die Flamme des Feuerzeugs leuchtete grellgelb in der Dämmerung, die fast unbemerkt hereingebrochen war, so dass sie keine Lampen oder Kerzen angemacht hatten.
Lóa dachte daran, dass die Nächte noch nicht ganz hell waren, und im nächsten Moment hatte sie ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Arbeit und saß in Gedanken am Schreibtisch. Vor sich den summenden Computer und die bronzene Lampe mit dem weißen Glasschirm. Ein großer Drachenbaum breitete sich in der Ecke aus, und eine sandgestrahlte Glaswand trennte sie vom Chefbüro.
Björg steckte das rauchende Stäbchen in die Erde einer meterhohen Birkenfeige, die Lóa schon seit Wochen nicht mehr gegossen hatte und deren dunkelgrüne Blätter schlaff herunterhingen, mit braunen Rändern von der starken Frühlingssonne. Räucherduft hüllte sie ein, und Lóa verzog das Gesicht wegen der Belastung, die die Pflanze zusätzlich zu der Vernachlässigung noch ertragen musste. Es war ihre einzige Topfpflanze, die noch lebte. Alle anderen waren bis zu den Wurzeln vertrocknet und machten das Wohnzimmer fast zu einer Wüste. An einer hing sogar ein Spinnennetz.
Als Lóa klein war, fünf oder sechs Jahre alt, hatte sie einen ganzen Nachmittag damit verbracht, das hohe Gras an der Wand in ihrem Garten zu durchforsten, Spinnenmännchen an den dünnen Beinen zu packen und sie ins Netz eines fetten Weibchens zu werfen. Jemand hatte ihr erzählt, dass die Weibchen die Männchen fressen würden. Am nächsten Morgen war
sie vor Gewissensbissen ganz aufgelöst, aber auch fasziniert gewesen von der furchtbaren Macht, die sie über Leben und Tod hatte. Doch als sie hinauslief, um nachzusehen, ob das Weibchen mit der Beute zufrieden war, erstarrte sie, denn von dem Netz waren nur noch Fetzen übrig, die gespenstisch im Wind wehten, und die zusammengekrümmten Körper der Männchen, sorgfältig in hauchdünne Seide eingepackt.
»Auf dem Weg zur Hölle gibt es eine Menge wohlwollende Seelen«, sagte die erwachsene Lóa, die in ihrer Wohnung im Framnesvegur am Esstisch saß.
Björg lachte schnaubend, ließ die Flamme des Feuerzeugs eine Weile brennen und berührte dann ganz kurz mit den Fingern das heiße Metall. Ihr Bein zuckte unter dem Tisch im Takt mit einem wilden, inneren Trommelschlag, dessen Klang sich Lóa wie die Pauke einer Blaskapelle vorstellte, die schnell vorwärts marschierte. An der Wand hinter ihr befand sich eine mattgoldene Tapete mit einem glänzenden, goldenen Blattmuster, und als sich Björg an die Wand lehnte, ragten zwei lange, geschwungene Blätter wie ein leuchtendes Hirschgeweih aus ihrem Kopf.
»Ich hab die Schrauben nicht aufgekriegt, obwohl ich auf dem Felgenschlüssel geradezu
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