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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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war.
    »Lass uns einfach ficken wie seelenlose Hunde, dann ist es gut, und du kannst verschwinden«, sagte sie.
    Ihre Entwürdigung, ihre Körperhaltung und ihre schneidende Stimme verletzten Sveinn zutiefst. Verletzten seine Ästhetik, sein Taktgefühl und seine Moral. Er konnte sich kaum erinnern, je einen solchen seelischen Schmerz verspürt zu haben,
doch dann wurde ihm plötzlich klar, dass er einfach nur schockiert war.
    »Fick mich einfach, dann kannst du mich dafür bezahlen, bevor du gehst«, sagte Lóa. »Ach, wie blöd von mir! Ich schulde ja dir was! Du kriegst den Fick für meine Schulden, und dann sind alle zufrieden, okay?«
    Mitten im Satz entglitt ihre Stimme und wurde zu einem heftigen Weinen, das die Worte zerfetzte: »Und dahan si-hind ah-lle zuh-frieh-den …«
    Weinend kroch sie fort und schrie auf, als sie ihr Knie auf dem Weg aus dem Wohnzimmer gegen die Türschwelle rammte.
    Sveinn beruhigte seine Augen und seinen Kopf, indem er die Schwarzhaarige und das kleine Stück Fußboden und Wand fixierte, das er im Flur sehen konnte. Wenn er das Kinn reckte, konnte er ein kleines Stück der Wohnungstür sehen.
    Dann folgte er Lóa in den Flur und in das Zimmer, in dem er tagsüber geschlafen hatte. Sie lag zusammengerollt auf dem schmalen Bett, ihr Rücken hob und senkte sich unter Schluchzen, und Sveinn breitete die Bettdecke über sie, vorsichtig, als fürchte er, sie würde nach ihm schnappen, wenn er sich zu schnell bewegte.
    Er löste ihren schweren Kopf aus dem Kleid, und als er ihren Hals und ihre Schultern mit der Hand berührte, spürte er, dass ihre Haut kochend heiß war.
    Er schleuderte das Kleid auf die Kommode unter dem Fenster.
    »Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte er.
    »Nein!«, schluchzte sie.
    »Soll ich gehen?«
    Sie antwortete nicht, drehte aber ihren Kopf so, dass er ihr Gesicht sehen konnte.

    Er setzte sich in den Sessel am Kopfende des Bettes und sah, wie sie weinte, ihre Wangen und Schläfen schwarz von verlaufener Wimperntusche, das Weiß ihrer Pupillen rot unterlaufen und ihr feuchtes Haar wie ein Schleier vor ihrem Gesicht.

XVI
Mittwochabend
    Lóa hatte schon lange das Gefühl, dass ihr Leben erschreckend frei von Bedeutsamkeit war. Aber was war bedeutsam? Politik? Geld? Wessen Leben war bedeutsam, wenn ihres es nicht war?
    Sie wusste nicht genau, was ein bedeutsames Leben ausmachte, spürte aber jetzt deutlicher als je zuvor, dass ihr Leben es nicht war – jetzt, wo sie es noch nicht einmal schaffte, Ernährerin und Mutter in einem zu sein.
    Sie hatte sich früher nie über ihre Rolle beklagt. Hätte sie Karriere machen wollen, hätte sie sich nicht auf die Erziehung der Kinder konzentrieren können, und nur in diesem Bereich war sie unverzichtbar. Es war weder ehrenhaft noch bedeutungsvoll, den Leuten einzureden, nach immer unerreichbareren Vorstellungen von Luxus streben zu müssen, und obwohl ihre Chefs lieber nicht auf sie verzichtet hätten, fanden sie für ihren Job schnell einen Ersatz.
    Sie wusste, dass der Wunsch nach persönlicher Verwirklichung Eitelkeit gleichkam, der Sicherheit eines vollen Magens und einer vorhersehbaren Zukunft entsprungen. Deshalb hatte sie solche Überlegungen nie ernst nehmen können, aber jetzt sehnte sie sich nach ihrer alten Aufgabe: morgens zur Arbeit zu gehen, originelle Ideen zu entwickeln, auf dem Nachhauseweg
einzukaufen, das Abendessen zuzubereiten, Ína bei den Hausaufgaben zu helfen, die Waschmaschine einzuräumen, fernzusehen, ein schlechtes Gewissen zu haben.
    Obwohl es noch hell war, war der Tag bereits ockergelb und ausgelaugt. Björg hatte vorbeigeschaut und eine Cognacflasche mitgebracht, die inzwischen halb leer war, und die letzten Stunden hatte Lóa mit zahllosen vergeblichen Telefonaten verbracht – die meisten mit der Polizei in Reykjavík. Mittlerweile kannte sie alle, die bei dieser Behörde einen Telefonhörer abnahmen, und Lóa war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen oder Angst davor haben sollte, endlich ernst genommen zu werden.
    Sie saß auf der Bettkante, in ihrem eigenen beißenden Angstgeruch, und betrachtete das Durcheinander in dem offenen Kleiderschrank, als das Telefon, halb unter der Bettdecke neben ihr vergraben, dumpf klingelte. Es war ihre Mutter.
    »Ja«, antwortete Lóa.
    »Bei dir ist ständig besetzt, Lóa.«
    »Ja.«
    »Hast du was von ihr gehört?«
    »Nein, Mama, ich hab doch gesagt, dass ich mich bei dir melde.«
    »Lóa«, entgegnete ihre Mutter. »Ína ist bei ihrem

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