Der Schoepfer
brauchst keine Angst zu haben, dass eines Tages keiner mehr einer lebendigen Frau hinterherschaut, weil sich alle solche Bettgenossinnen wie die Schwarzhaarige angeschafft haben. Jedenfalls könntest du aufhören, mich fertigzumachen. Ich produziere Puppen, aber nicht die Nachfrage nach ihnen. Die Nachfrage schaffen eher Zicken wie du, die verängstigte Weicheier in meinen Laden treiben. Aber mir jagt man nicht so leicht Angst ein, merk dir das!«
Lóas Wut entflammte wie ein Schmerz in ihrem Bauch: dass er es wagte, in dieser angespannten Situation so mit ihr umzugehen! Wahrscheinlich war er nicht ganz richtig im Kopf, so wirr wie er die ganze Zeit redete, und Lóa sehnte sich heftig nach einem logischen Zusammenhang.
»Diese dämliche Puppe ist mir scheißegal, ich will dich nur nicht mehr sehen«, schrie sie. »Und ich frage mich, warum du dich mit etwas befasst, das du so abstoßend findest!«
»Aus keinem besonderen Grund, meine Liebe. Ich bin da nur zufällig reingeraten. Wenn du verstehen würdest, dass das Leben aus puren Zufällen besteht, wärst du vielleicht nicht so herrisch und rachsüchtig. Lass die Dinge doch einfach mal geschehen. Versuch, dich zu entspannen.«
»Entspannen? Etwa so wie die?« Lóa zeigte auf die Puppe, die in ihrer Schwerfälligkeit platt auf dem Sofa lag. Ihre leblosen Augen starrten entrückt an die Decke und hinaus ins Universum. Ihr Gesicht friedlich wie der Tod. Ihr Haar ein schwarzer Bach, der in einem munteren Wasserfall von der Sofakante fiel.
»Tja, vielleicht nicht ganz so wie sie«, sagte er. »Obwohl du
bestimmt einiges von ihr lernen könntest, zum Beispiel dich zu entspannen.«
Lóas überspannte Muskeln zuckten in steigender Erregung, die sie versuchte zu unterdrücken, wobei sie nur noch schlimmer wurde und ihren Magen in Aufruhr versetzte. Sie musste sich fast übergeben.
»Ich kann nichts dafür, dass sich dein Vater umgebracht hat«, sagte er.
»An welcher Krankheit leidest du eigentlich, wenn ich fragen darf?«, entgegnete sie. »Ich verstehe kaum die Hälfte von dem, was du sagst. In deinem Kopf gibt es nicht einen logischen Zusammenhang. «
»Ach ja?«
»Ja. Zusammenhang ist der Klebstoff, der die Gedanken zu einer Kette zusammenfügt, so dass sie kein willkürlicher Müllhaufen mehr sind, verstehst du? Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass du urplötzlich meinen Vater erwähnst.«
»Du hast das Thema doch zuerst auf ihn gebracht«, erwiderte er. »Warst du ein Papakind? Man muss ja kein Psychologe sein, um zu kapieren, wie krankhaft besessen du von dem Kerl bist, vor allem nach seinem beeindruckenden Abgang.«
Lóa linste verstohlen zu der Cognacflasche und war entsetzt, als sie sah, dass sich nur noch ein kleiner Rest darin befand. Sie konnte sich gar nicht erinnern, das Zeug so schnell getrunken zu haben, und starrte die wenigen Tropfen an, die noch übrig waren.
Sveinn redete immer weiter und fing dann, zu Lóas Entsetzen, an zu singen. Sein Gesang zerriss die restlichen Fäden ihres Realitätsgefühls, und der Wahn, der schon die ganze Zeit an ihr gezerrt hatte, wurde zu ihrem Schicksal. Alles erschien in Nebel gehüllt, und Lóa hatte keine Kontrolle mehr über ihren schweren,
gequälten Körper, der sich schluchzend wand. Sie meinte, keine Luft mehr zu bekommen, aber da sich ihre Brust hob und senkte, atmete sie wohl eher zu viel Sauerstoff ein. Sie versuchte, langsamer zu atmen, hatte aber keinen Einfluss mehr darauf.
»Und von den Männern, da sagt keiner nee«, sang Sveinn. »Und dumm dumm dumm dumm und bumm bumm bumm bumm und ihre Geschichte ist allseits bekannt. Sie haben Kinder und ein Haus und allerhand.«
Lóa spürte den Geschmack cognacdurchtränkter Galle im Mund und wusste kaum mehr, was sie tat. Von weit weg hörte sie die kreischende, schrille Ausgabe ihrer eigenen Stimme, die aus dem jämmerlichen Opfer in ihrem Inneren hervorbrach. Vielleicht sprach sie noch nicht einmal aus sich selbst heraus, sondern mit einer verbitterten, allweiblichen Stimme, die durch die Jahrhunderte echote, getrieben von unterdrücktem Schmerz und passiver Aggression.
Es war ohnehin übertrieben zu sagen, sie spräche. Sie schrie, schluchzte und spuckte die Worte aus, die sie selbst gar nicht mehr wahrnahm, so aufgelöst war sie. Und das war nur der Anfang, denn schon bald reichten die Worte nicht mehr, und ihr Körper übernahm in einem bizarren Tobsuchtsanfall die Führung, was nie passiert wäre, wenn sich ihr Bewusstsein nicht ausgeschaltet
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