Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
Vom Netzwerk:
die entdeckt.«
    »Das sind ja wirklich Neuigkeiten«, sagte Kjartan und lachte zögernd, so als hätte er eine schwere Last auf der Brust. »Wann, wenn überhaupt, hast du vor, nach Hause zu kommen?«
    »Heute oder spätestens morgen früh«, antwortete Sveinn. »Ich komme dann morgen Nachmittag mit der Schwarzhaarigen bei dir vorbei.«
    Sveinn blätterte weiter das Album durch, ohne die nötige Ruhe, die Details ins Auge zu fassen. Er dachte an Lóa. Der selige Hans Sigurjónsson konnte nicht ihr Vater sein, wenn Kjartan ihn als durchschnittlich groß bezeichnete.
    »Warum drangsaliert sie mich dann?«, dachte er. »Sie steht ja total neben sich, wenn sie sich von Zeitungsklatsch derart in Rage bringen lässt.«
    Das Handy klingelte.
    Anonym .
    Das war die Gelegenheit, sie auf frischer Tat zu ertappen, jetzt musste sie zugeben, dass sie hinter den Anschuldigungen steckte, die ihn so aus dem Gleichgewicht brachten. Sveinn ging so schnell er konnte durch den Wohnbereich in den Flur, aber das Klingeln verstummte, kurz bevor er Lóas Zimmer erreichte. Trotzdem öffnete er vorsichtig die Tür und spähte hinein. Lóa sah aus, als schlafe sie. Oder eigentlich schien sie wie tot. Ihr Atem war nicht zu hören, und er konnte nicht sehen, ob sich ihre Brust bewegte.

    Er zog die Tür zu und wollte zurück in die Küche, aber mit jedem Schritt verstärkte sich sein unangenehmes Gefühl. Er hielt inne, schlich zurück in Lóas Zimmer und hielt ihr die Hand unter die Nase.
    Er war sich nicht sicher, ob er Wärme oder Feuchtigkeit oder irgendetwas spürte, das darauf hinwies, dass sie atmete, und sein Herz schlug schneller. Seine Nackenhaare richteten sich auf, und ein unbekannter Schmerz zog sich durch sein Rückenmark.
    Bevor er sich versah, hatte er sich zu ihr hinuntergebeugt, sich mit der unversehrten Hand am Bettrand abgestützt und die Wange an ihren halb geöffneten Mund gelegt. So gekrümmt stand er da und hielt die Luft an, bis seine Oberschenkel anfingen zu zittern. Und da spürte er es endlich. Ein minimaler Temperaturunterschied, wenn sie aus- oder einatmete, der Geruch von Cognac und Feuchtigkeit, die auf der Haut kitzelte, als schritten Millionen winziger Insekten zum Tanz.
    Sveinn erhob sich und atmete erleichtert auf. Wie war er nur auf die Idee gekommen, sie sei tot? Der Aufenthalt in diesem hysterischen Haus musste ihm schon ziemlich zugesetzt haben.
    Nein, es war ungerecht, ihre Reaktion auf das Verschwinden ihrer Tochter als Hysterie zu bezeichnen. Er konnte sich natürlich nicht in ihre Lage versetzen – hatte selbst nie Kinder gehabt oder erleben müssen, dass sie krank wurden oder von zu Hause wegliefen. Trotzdem war das keine ausreichende Entschuldigung für ihr Verhalten.
    Der Gedanke, Lóa zurückzulassen ohne sie umgestimmt zu haben, löste einen fast körperlichen Unmut in ihm aus. Er wollte keine weiteren Briefe und Anrufe mehr erhalten.
    Sobald ein Problem seinen ungekämmten Schopf in sein Leben steckte, nahm er es normalerweise mit ihm auf und löste es.
Er war immer froh gewesen, keine Angst vor Initiative zu haben oder sich, wie die meisten anderen, zu viele Gedanken über die Dinge zu machen. Aber mit so jemandem wie Lóa hatte er bisher noch nie zu tun gehabt – sie war eine Problemkategorie für sich. Sveinn fühlte sich, als hätte man ihn an den Füßen aufgehängt und als verfinge er sich immer mehr im Seil, je heftiger er strampelte. War es in einer solchen Situation nicht am besten, ruhig zu bleiben und abzuwarten? Wenn er sich nicht länger gegen das Unvermeidliche wehrte, tauchte vielleicht eine kleine Maus auf, biss das Seil durch und befreite ihn von seinem Schicksal.
    Aus irgendeinem Grund sah er Margrét in der Rolle der Maus vor sich. Margrét, die er bisher nur auf einem gerahmten Foto an der Wand gesehen hatte, wo sie, etwa zwölf Jahre alt, vor einer gelben Hauswand stand und schief in die Kamera lächelte, die Augen gegen die Sonne zusammengekniffen, das T-Shirt ordentlich in die kurze Hose gesteckt, um den Oberkörper nicht zu entblößen, der die Ahnung eines Busens wie ein offenes Geheimnis trug.
    Sveinn beschloss, zurück in die Küche zu wandern, noch etwas zu essen, ein paar Tramol zu schlucken und einige Artikel über die neueste Technik und Wissenschaft zu lesen. Dann würde er die Schwarzhaarige auf den Fußboden ziehen und sich aufs Sofa legen, bis Lóa morgen früh aufstand.
    Wenn sie nach dem Aufwachen einigermaßen klar im Kopf wäre, würde er versuchen, an

Weitere Kostenlose Bücher