Der schottische Seelengefährte (German Edition)
übereingekommen, Mary in Ruhe kennenzulernen, um dann zu entscheiden, wie sie weiter verfahren wollten. Sie würde Zeit brauchen, diese Unfassbarkeit zu verarbeiten. Er hoffte, sie würde es ohne geistigen Schaden überstehen, aber das würde erst die Zeit zeigen. Leider war ihm ihr kleiner Ausbruch zuvorgekommen. Er seufzte und legte sein Kinn auf ihren Kopf und fuhr ihr beruhigend über den Rücken. Wenn er nur wüsste, was er mit ihr anfangen sollte. Sie war eindeutig eine Ablenkung, sogar eine sehr köstliche, die er aber gerade jetzt nicht gebrauchen konnte. Sie sprach eine Seite in ihm an, die er lieber verschlossen halten wollte. Iain war überwältigt von dem starken Wunsch, sie zu beschützen und zu trösten, so stark, dass es ihm fast Angst machte. Trotzdem fühlte er sich für sie verantwortlich und wenn er ehrlich war, auch sehr zu ihr hingezogen. Zwar war sie eindeutig frecher als alle seine bisherigen Frauenbe- kanntschaften, aber er hatte noch nie etwas für unterwürfige und ängstliche Frauen übrig gehabt. Schon ihre ersten zarten Berührungen seines Gesichtes, als sie dachte sie würde träumte, hatte einen Riss in seine innerlich sorgfältig aufgerichtete Mauer verursacht. Das wird verdammt kompliziert werden, dachte er resigniert,und strich doch weiter unbeholfen zur Beruhigung über Marys Rücken.
Diese hing ihren eigenen Gedanken nach, nachdem die Tränen endlich versiegt waren. Völlig erschöpft war es ihr total egal, sich auf dem Schoß eines wildfremden Mannes verteilt zu haben. Vollkommen betäubt und aus der Bahn geworfen starrte sie vor sich hin. Ihr Gesicht fühlte sich heiß und verquollen an und ihre schweren Augenlider drückten ihr immer wieder die Augen zu.
Das sanfte Streicheln lullte sie träge ein und sie empfand die Berührungen als erstaunlich tröstend. Was mache ich denn jetzt nur? Sie überkam ein Gefühl der völligen Hilflosigkeit, welches sie noch nicht einmal gespürt hatte, als ihre Eltern so plötzlich verstorben waren. Selbst in der damaligen schmerzlichen Situation hatte sie sich unter Kontrolle gehabt und gewusst was zu tun war, auch wenn es ihr schwergefallen war. Ihr logisch arbeitendes Gehirn schien einen Festplattenabsturz zu haben, denn sie konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen.
Mary wusste nicht, wie lange sie so zusammengekauert an Iains Brust gelegen hatte, bis es auf einmal leise an der Tür klopfte und sie vorsichtig einen kleinen Spalt weit geöffnet wurde. Iain nickte Mairi hinein, welche mit einem dampfenden Becher nähertrat.
„Mein armes Lämmchen, alles wird wieder gut. Hier, trink das, es wird Euch helfen“ und hielt Mary den Becher hin.
Bei diesen Worten stieg eine unglaubliche Wut unvermittelt wie ein Vulkanausbruch in Mary hoch. Bevor er überhaupt reagieren konnte, schoss sie dem verdutzten Iain vom Schoß und schlug Mairi den Becher aus der Hand.
„Helfen? So wie dein anderes Getränk, was mich umgehauen und hier festgehalten hat? Vielleicht wenn ich sofort zurückgegangen wäre, statt hier noch weiter festzuhängen, wäre ich wieder in meine Zeit zurückgekehrt.“
Mairi versuchte ihr begütigend die Hand auf den Arm zu legen, doch Mary stieß sie weg. „Lass mich. Fass mich nicht an. Lasst mich alle in Ruhe! Ich will endlich hier raus und nur noch nach Hause. Ich habe die Nase voll von euch und euren Geschichten!“ Plötzlich hielt sie mit einem Ruck inne, weil ihr ein ganz anderer Gedanke gekommen war und nagelte Mairi mit eisigem Blick fest.
„Mom. War sie aus eurer Zeit?“
Doch noch bevor Mairi zustimmend nicken konnte, wusste Mary es eigentlich schon. Die Familie, die man angeblich wegen Streitigkeiten nicht besuchen konnte. Ihre Liebe und ihr erstaunliches Wissen über die Highlands und deren Geschichte, ihre manchmalaltmodischen Einstellungen. Ihr Bestreben, Mary stark und unabhängig zu machen. All das ergab nun einen völlig neuen Sinn. Langsam sackte sie in sich zusammen, nur durch eine Hand an der kalten Wand abgestützt. Doch diese Kälte war nichts im Vergleich zu der, die ihren gesamten Körper überzog. Auf dem Boden kauernd umschlang sie sich fest mit beiden Armen und wiegte wie ein Junkie auf Entzug vor und zurück. Ihr ganzes Leben schien eine einzige Lüge gewesen zu sein. Und Dad? Hatte er es gewusst? Sie konnte es nicht sagen. Verzweiflung in einem ihr bisher unbekannten Ausmaß stieg in ihr hoch.
Es schmerzte Iain mit anzusehen, wie verzweifelt und hilflos Mary war und wie ein kleines Häufchen
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