Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
hinein. Es würde sich alles irgendwie ergeben.
Carole Paretski war eine gut aussehende Frau. Zierlich, dunkelhaarig, mit feurigem Blick. Sie machte den Eindruck, ziemlich viel Temperament zu besitzen, mit dem sie einen nach Belieben überraschen konnte.
»Ich bin bloß Anwaltssekretärin«, sagte sie, als Parrish sie nach ihrer Stellung bei Gaines, Maynard und Barrett befragte. »Als die Kinder ins Teenageralter kamen, ging ich wieder arbeiten. Ich musste. Mir fiel einfach die Decke auf den Kopf.«
Sie saßen in einer Bar in der Lafayette Avenue, etwa einen Block von ihrem Arbeitsplatz entfernt.
»Und wie alt sind Ihre Kinder jetzt?«, fragte Parrish. Er kannte ihr Alter, wollte sie aber dazu bringen, sich zu entspannen. Über die Kinder zu sprechen war immer ein guter Einstieg.
»Sarah ist vierzehn, Alex ein Jahr älter. Und beide kommen mir beinahe vor wie fünfundzwanzig«, fügte sie betrübt hinzu.
»Meine sind ein bisschen älter«, sagte Parrish. »Er ist zweiundzwanzig, sie zwanzig.«
»Dann sind sie aus dem Gröbsten heraus?«
»Es hört nicht auf. Kinder sind in jedem Alter ein Vollzeitjob. Man hört nicht auf, sich zu sorgen, ob sie die richtigen Entscheidungen treffen. Man will sich einmischen, aber es ist besser, man hält einen Moment inne, denkt an sein eigenes Leben in diesem Alter zurück und fragt sich, ob die eigenen Entscheidungen wirklich so toll waren, dass man sie unbedingt an die nächste Generation weiterreichen möchte. Normalerweise lautet die Antwort nein.«
»Sie sind zu zynisch, Detective. Sie leisten einen sehr wertvollen Beitrag für die Gesellschaft, was völlig unterschätzt wird. Ich habe ein wenig von dem mitbekommen, womit Leute wie Sie es tagtäglich zu tun haben, und ich ziehe meinen Hut vor Ihnen.«
»Das weiß ich sehr zu schätzen, Ms Paretski, wirklich.«
»Carole«, sagte sie. Dann fügte sie – mit einem Seitenblick auf Radick – hinzu: »Also, worüber möchten Sie sich mit mir unterhalten?«
»Um ganz aufrichtig zu sein, Carole, möchten wir uns über ihren Exmann unterhalten, über Richard.«
Die Veränderung vollzog sich übergangslos. Ihre Haltung und Körpersprache wirkten wie ausgewechselt. Weder Parrish noch Radick hätten es übersehen können.
»Was ist mit ihm?«, fragte sie.
»Sie sind geschieden, ist das richtig?«
»Ja, wir sind geschieden. Seit drei Jahren schon.«
»Eine einvernehmliche Scheidung, oder war es schwierig?«
»Einvernehmlich? Die eigentliche Scheidung ging einigermaßen ruhig über die Bühne, das muss ich zugeben, aber auf keinen Fall freundschaftlich.«
»Sie waren fünfzehn Jahre verheiratet.«
»Ja, das waren wir.«
»Es tut mir leid, Sie danach fragen zu müssen, aber Richard hat erklärt, die Scheidung wäre nötig geworden, weil Sie sich mit jemand anderem eingelassen hätten. Ist das korrekt?«
Carole Paretski grinste höhnisch. »Das hat er behauptet? Mein Gott, er ist ja so ein beschissener Feigling.«
»Ein Feigling? Warum sagen Sie das?«
Sie atmete langsam ein und schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, was? Man ist all die Jahre mit jemandem verheiratet und denkt, man kennt ihn. Und dann findet man heraus, dass er einen die ganze Zeit über angelogen hat und dass man sich selbst dafür entschieden hat, sich völlig blindzustellen.«
Parrish warf Radick einen Blick zu. Radick sagte nichts.
»Ich habe der Scheidung wegen meines Ehebruchs zugestimmt, weil es der schnellste Weg war, die Ehe zu beenden. Einer Scheidung mit irgendeiner anderen Begründung hat er sich verweigert. Ich war nur allzu bereit, mich darauf einzulassen, um die Sache endlich hinter mich zu bringen.«
Sie schwieg einen Moment. Dann schaute sie Parrish in die Augen.
»Warum sind Sie hier?«, fragte sie. »Warum fragen Sie mich nach Richard? Was hat er getan? Hat er sich wieder irgendwelchen Ärger eingehandelt?«
»Wieder?«
»Dieser Mist im Jahr 2002. Dieser Dreck, in den er sich hineinmanövriert hat … Sie wissen, was ich meine, oder?«
Parrish runzelte die Stirn.
»Die Dinge, die er zu diesem Mädchen gesagt haben soll?«
»Welchem Mädchen?«, fragte Parrish.
Carole Paretski seufzte tief und schloss für einen Moment die Augen. Dann schüttelte sie langsam den Kopf und schaute zum Fenster.
»Natürlich wissen Sie nichts davon«, sagte sie. »Es kam nie in die Akten, oder?«
Parrish sagte kein Wort.
»Juni 2002. Er wurde obszöner Äußerungen gegenüber einer Neunjährigen beschuldigt. Es kam aber nicht zu einer Anklage.
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