Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
hörte er, wie McKee die Haustür aufschloss.
»Bleibt da!«, rief McKee. »Ich glaube, ich weiß, wo es ist.«
Am liebsten hätte Parrish sein Herz am Schlagen gehindert. Er fühlte sich schwindlig, verängstigt, regelrecht panisch. Sein Puls hämmerte unregelmäßig; er spürte ihn an den Schläfen und am Hals. Seine Beine begannen, gegen die unangenehme Position zu rebellieren und die ersten Signale eines Krampfs auszusenden. Der plötzliche und unerträgliche Schmerz würde ihn bald zwingen, sich zu bewegen und aus dem Schrank direkt in den Hausflur zu stürzen.
Er bewegte einen Fuß, und der Fuß berührte die Tür, die sich daraufhin einen Spalt öffnete. Innen gab es keinen Griff, nichts, woran er ziehen und womit er die Tür wieder schließen konnte.
McKee huschte vorbei. Parrish sah seine Beine, als er sich Richtung Küche bewegte. Er schloss die Augen und hielt den Atem an.
Er hörte, wie Schränke geöffnet wurden. Mit aller Macht versuchte er, den Krampf zu unterdrücken. Der Schmerz wurde langsam stärker, seine Muskeln mit jeder Sekunde härter. Es gab nichts, was er dagegen unternehmen konnte. Jeden Moment würde es sich so anfühlen, als hätte man sein Bein in einen Schraubstock eingespannt. Dann würde er sämtliche Willenskraft aufbringen müssen, um kein Geräusch zu verursachen und sich nicht zu bewegen.
»Ich hab’s«, hörte er McKee sagen, der gleich darauf im Flur auftauchte. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Parrish, er würde einfach an der offenen Tür des Stauraums vorbeigehen, jener Tür, die ordentlich geschlossen gewesen war, als er das Haus früher am Morgen verlassen hatte.
Doch McKee ging nicht vorbei. Er verlangsamte seine Schritte und blieb schließlich stehen. Er war ein präziser und gewissenhafter Mann. Ein Mann, bei dem es keine angelehnten Schranktüren gab.
Parrish malte sich das Stirnrunzeln aus, den Moment der Neugier, McKees Gewissheit, dass er diese Tür geschlossen hatte – und deshalb würde er nach dieser Tür greifen. Er würde sie öffnen und dort Detective Frank Parrish vom 126sten Revier des New York Police Department unter der Treppe hocken sehen, mit einer Taschenlampe, einem Schraubenzieher und einer Reisetasche bewaffnet, in der sich Werkzeuge, Schlüssel und weitere Einbrecherausstattung befanden. Was konnte Parrish tun? Was, um alles in der Welt, sollte er sagen? Hallo, Mr McKee. Nun, zuallererst möchte ich betonen, dass das hier nicht das ist, wonach es aussieht? McKee kannte ihn. Er kannte seinen Namen. Wegzulaufen wäre sinnlos. Falls er jetzt weglief, was sollte er später sagen, wenn McKee den Vorfall meldete? McKee ist ein Lügner. Ich habe das Haus des Kerls nie betreten?
Auch die Kinder, Alex und Sarah, die auf dem Rücksitz des Geländewagens saßen und darauf warteten, dass ihr Dad, ihr unschuldiger Dad, endlich mit dem Gegenstand wiederauftauchte, den sie vergessen hatten, würden ihn sehen.
Parrish sah die Schlagzeilen vor sich. Er hörte förmlich die Beamten der Internen Ermittlungen. Er spürte die Schande und Erniedrigung, die er bis zu seiner endgültigen Entlassung würde ertragen müssen. Er wusste, dass in diesem Augenblick alles vorbei war, dass seine Karriere hier endete – in den Stauraum unter einer Treppe gezwängt, nachdem er den Straftatbestand des Einbruchs erfüllt und das Haus eines Verdächtigen illegal durchsucht hatte. Und das war längst nicht alles. McKee würde die Polizei verklagen und schließlich Parrish wegen Schikane, seelischer Grausamkeit und eines posttraumatischen Belastungssyndroms vor Gericht bringen. Während Parrish am Tiefpunkt seines Lebens ankäme, würde McKee freigesprochen und für seine ungerechtfertigten Belastungen entschädigt.
Parrish schloss die Augen. Er hielt den Atem an.
McKee stieß die Tür mit dem Fuß zu und verließ eilig das Haus.
Parrish wartete, bis er den Wagen losfahren hörte. Dann stieß er einen schmerzvollen Seufzer aus.
In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er unter der Treppe eingesperrt war.
80
Carole Paretski hatte lange und gründlich über ihre Gespräche mit Detective Frank Parrish nachgedacht. Etwas war unausgesprochen geblieben – das begriff sie. Und auch wenn sie glaubte, dass es Parrishs Partner nicht bewusst war, spürte sie, dass Parrish ihren Mann weit schlimmerer Vergehen verdächtigte als der Lektüre von Wichszeitschriften und dem Anschauen von Barely-Legal -Pornofilmen. Sie hatte noch einmal über den Mann, den sie geheiratet
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