Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
Squad Sergeant Valderas erwarteten. Der Bericht über laufende Ermittlungen wurde vom leitenden Detective nach einer kompletten Schicht abgefasst, egal ob sich diese über drei Tage, fünf Tage oder – im Fall von Überstunden – über zweieinhalb Stunden hinzog. Es war ein aufwendiger Prozess, die Neueinschätzung jedes einzelnen Mordes, ein oder zwei Abschnitte über die bisherigen Aktivitäten – die befragten Zeugen, zu denen vermerkt werden musste, ob der ermittelnde Beamte sie als potenzielle Verdächtige betrachtete, die im Haus durchgeführten Verhöre, die Ergebnisse dieser Verhöre und so weiter und so weiter. Parrish hatte noch mehrere nicht abgeschlossene Fälle, doch für ihn war es einfach.
Rebecca war weder eine Nutte noch eine Dealerin oder Diebin gewesen. Sie hatte es nicht mit denselben Berufsrisiken zu tun gehabt, denen andere ausgesetzt waren. Wenn man sich erst einmal mit der Sex-für-Geld-Industrie einließ, war man ein Magnet für Verrückte und Durchgeknallte. Und wenn man mit den Taschen voller Crack aus den Sozialsiedlungen kam, wenn man den Strohmann für jemanden spielte, wenn man jemanden übers Ohr haute, dann war es nur allzu leicht möglich, mit der Zwölfzentimeterklinge eines Schälmessers in der Kehle zu enden. Solche Eventualitäten brachte das Wohnviertel mit sich. Danny Lange war ein Junkie gewesen. Bei Junkies ging es nicht um das Ob, sondern um das Wann und das Wie . Eine Überdosis, ein Unfall im Rausch, eine Halluzination, die einen in den Bergen Colorados wandern ließ, obwohl man in Wirklichkeit völlig weggetreten durch den sechsspurigen Verkehr auf dem Brooklyn-Queens Expressway torkelte. Wie gesagt, Berufsrisiken.
Doch das galt nicht für Rebecca. Sie war die Einzige, auf die es wirklich ankam. Und nicht bloß deshalb, weil sie ihn an Caitlin erinnerte. Auch nicht, weil sie Waise war und einen beschissenen Junkie-Bruder hatte. Es ging nicht darum, dass ihre Freunde von der St. Francis of Assisi School sie für still und lustig und süß und hübsch hielten. Es ging um etwas anderes. Sie erinnerte Parrish an eine simple Wahrheit: Wenn niemand da war, um auf einen aufzupassen, wenn niemand die Dinge im Auge behielt, dann war die Welt mit all ihren zweifelhaften Wundern nur allzu bereit, einen in Windeseile zu verschlingen.
Vom einen auf den anderen Moment hörte man auf zu existieren.
Warum war sie zu ihrem Bruder gelaufen? Warum hatte sie Williamsburg Richtung Brooklyn verlassen? Warum hatte sie sich die Haare schneiden und die Nägel lackieren lassen? Mit wem hatte sie Sex gehabt? Und war es wirklich einvernehmlich geschehen?
Er fragte sich, ob die toxikologische Untersuchung inzwischen durchgeführt worden war. Deshalb griff er zum Telefon und wählte die Nummer des Coroners. Er gab die Fallnummer und Rebeccas Namen durch und wartete, während die diensthabende Rezeptionistin nach den Unterlagen suchte.
»Keine toxikologische Untersuchung«, meldete sie sich schließlich zurück. »Bisher ist auch keine angesetzt. Möchten Sie, dass eine durchgeführt wird?«
»Bitte, ja«, erwiderte Parrish. »Mir wurde gesagt, die Untersuchung sollte durchgeführt werden, aber dann habe ich nichts mehr gehört.«
»Tja, dann hat wohl jemand Mist gebaut, was? Ich mache einen Termin, aber vor Montag wird nichts passieren. Ich habe nicht genug Personal für nachträgliche toxikologische Untersuchungen.«
»Wie heißen Sie?«
Sie nannte ihm ihren Namen.
»Ich rufe Sie am Montagnachmittag an und erkundige mich, wie es aussieht.«
»Tun Sie das, Detective. Und ein schönes Wochenende!«
Parrish legte auf und notierte in seinem Kalender, dass er am Montag anrufen wollte.
Er beendete seinen Bericht und deponierte ihn in einem Korb neben der Tür. Dann holte er das restliche Geld aus der Zigarrenkiste in der untersten Schublade seines Schreibtischs.
»Hauen Sie für heute ab?«, fragte ein Uniformierter, dem Parrish auf dem Gang begegnete.
»Keine Chance«, erwiderte Parrish. »Ich bin den ganzen Tag hier.«
»Sind Sie immer noch ohne Lappen?«
»Ja, bis Januar. Ich bekomme den Führerschein nach Neujahr zurück.«
Der Uniformierte machte eine Bemerkung, die Parrish, der die Treppe zu Marie Griffins Büro hinunterlief, nicht mehr hörte.
19
»Haben Sie schon mal etwas von den Valachi-Akten gehört?«
»Das klingt irgendwie vertraut.«
»Joseph Valachi. Der erste Typ, der beim Mob jemals aus der Reihe getanzt ist. Seine Aussage brachte alles ins Rollen und lieferte
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