Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Ellory
Vom Netzwerk:
praktisch mit dem Verbrechen selbst zu verflüchtigen. Ein Mordermittler, der diesen Umstand verinnerlicht hat, beschäftigt sich als Letztes mit der Leiche. Die Leiche läuft nicht weg, niemand rührt sie an. Fasern dagegen, Haare, Fußabdrücke, alles Flüchtige verschwindet schnell. Drinnen hat man nicht mit widrigem Wetter zu kämpfen, mit dem Wind und dem Regen, die sämtliche Spuren aller Personen auslöschen, die am Tatort gewesen waren. In einem Haus konnte man einen Besitzer ermitteln; man konnte nach Spuren gewaltsamen Eindringens suchen und, falls man diese nicht fand, die Möglichkeit untersuchen, dass Täter und Opfer sich gekannt hatten. Vielleicht geriet man an einen Wohnblock, in dem die Menschen auf das Kommen und Gehen ihrer Nachbarn achteten und in dem ein unvertrautes Gesicht Neugier hervorrief. Die physischen Spuren, die ein Mörder zurückließ, waren in einem geschlossenen Raum viel leichter zu isolieren als in einer schneebedeckten schmalen Gasse zwischen zwei Mietskasernen, die zudem mit zerbrochenen Flaschen, benutzten Nadeln und Abfall übersät war. Gegenstände, die fehlten, waren übrigens oftmals ebenso wichtig wie die Dinge, die man fand. Und je mehr Polizisten vor Ort waren, desto schwieriger wurde es natürlich, den Tatort zu kontrollieren. Selbst erfahrene Beamte machten Fehler, und manchmal führte auch der Coroner – die Person, die den Abtransport der Leiche genehmigen musste – seine Erstuntersuchung schon durch, ehe die Detectives wirklich fertig waren.
    Die Heilige Dreifaltigkeit: objektive Beweise, Augenzeugen und Geständnisse. Ohne die beiden Ersten erreichte man selten das Dritte.
    In den Fällen sowohl von Rebecca Lange als auch von Karen Pulaski gab es kaum Beweismittel, keine Augenzeugen, und damit auch niemanden, den man einem Verhör unterziehen konnte.
    Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Fällen lagen im ungefähren Alter und der äußeren Erscheinung der beiden Mädchen sowie in der Tatsache, dass sie beide erdrosselt worden waren. Bei Rebecca allerdings hatte der Täter seine Hände benutzt, während Karen ein Seil um den Hals gelegt worden war.
    Parrish schloss die Akte und brachte sie zurück in das Büro, aus dem er sie mitgenommen hatte.
    Kurz nach acht Uhr verließ er das 91ste Revier, ging zurück zur Jefferson Street und nahm die U-Bahn zur Lorimer Street. Dort stieg er um und fuhr weiter Richtung Brooklyn- Broadway, Flushing, Myrtle-Willoughby, Bedford-Nostrand, südwestlich bis Clinton-Washington. Schließlich brauchte er einige Minuten zu Fuß die Lafayette Avenue entlang bis zur Clermont Avenue.
    Er hielt bei dem Schnapsladen an der Ecke DeKalb Avenue und kaufte sich eine Flasche. Wieder war er hungrig, sodass er sich fragte, ob er noch Tiefkühlpizza in seiner Wohnung hatte. Er ließ es darauf ankommen und ging am Seven-Eleven vorbei. Er konnte immer noch zurückgehen, falls er in seiner Wohnung nichts mehr fand. Oder einfach ein paar Gläser trinken und das Essen darüber vergessen …
    Er trat zum Aufzug, auf den bereits eine Nachbarin wartete. Er erkannte sie erst wieder, als sich die Aufzugstür öffnete und er sich erinnerte, dass es die Frau aus der Etage unter ihm sein musste. Mrs Langham, glaubte er zumindest. Ihre Tochter, die nicht älter als sechs oder sieben Jahre sein konnte, begleitete sie. Parrish hielt die Tür auf und ließ die beiden vorangehen, dann lächelte er Mrs Langham zu. Die Frau erwiderte sein Lächeln nicht. Entweder wusste sie, dass er Polizist war, und missbilligte seinen Beruf, oder sie wusste es nicht und missbilligte ihn persönlich. Vielleicht trug die Flasche in seiner Hand nicht unbedingt zu einer entspannten Atmosphäre bei. Höchstwahrscheinlich wusste sie, dass er allein lebte. Und in diesem Gebäude – vielleicht kaum anders als in vielen anderen Gebäuden der Stadt – fühlten die Menschen sich unbehaglich mit einem Polizisten als Nachbarn. Jedenfalls so lange, bis bei ihnen eingebrochen wurde oder jemand sie im Treppenhaus auszurauben versuchte. Dann wurde man zur wichtigsten Person in ihrem Universum.
    Parrish spürte, dass das kleine Mädchen ihn anstarrte.
    Er schaute hinunter und lächelte ihr zu.
    Das Mädchen strahlte zurück – welch ein Enthusiasmus, welche Vorurteilslosigkeit.
    Parrish öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch die Mutter kam ihm zuvor. Sie legte sämtliche mütterliche Autorität in ein forciertes Flüstern.
    »Grace … starr den Mann nicht an. Das ist unhöflich.«
    Parrish

Weitere Kostenlose Bücher