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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Himmelskönigin,
Bringt unverdrossen alle Jahre wieder
Himmlische Botschaft über die Een.
Selbst Päpste und Könige verlieren die Macht
Über Fron und Thron und Adelsstand,
Doch solange allhier der Eisvogel wacht,
Bleibt Old Hall fest in Guillemards Hand.«
    Er endete seinen Vortrag und sah Wield selbstgefällig an.
    »Das war großartig«, sagte Wield.
    »Der Kerl meint, es war großartig«, sagte der Squire ein wenig überrascht und blickte dabei in Richtung zweiter Eckmann. Dann wandten sich die strahlenden Augen erneut Wield zu.
    »Tradition, wissen Sie. Man muss sie respektieren, auch wenn es scheinbar keinen Sinn ergibt. Das müssen Sie doch aus Ihrem Beruf kennen. Die Regeln anwenden, auch wenn sie einem persönlich wie ein Haufen Kokolores erscheinen, stimmt’s?«
    »Mm, so ungefähr«, bestätigte Wield.
    »Da haben Sie’s.
Fuctata non Perfecta
. Wissen Sie, was das bedeutet, Sergeant? Ich werd’s Ihnen sagen.
Das Leben kann verdammt gemein sein.
Frei übersetzt, aber treffend. O ja, wahrhaft treffend. Entschuldigen Sie mich. Da ist jemand, mit dem ich sprechen muss.«
    Er entfernte sich, und Wield sah, dass es keine Ausrede war. George Creed war in einiger Entfernung aufgetaucht, und Wield blickte dem Squire nach, wie er dem Bauern entgegenging. Die Männer standen einen Moment lang da und sahen sich an, bevor sie miteinander zwischen den Bäumen verschwanden.
    Wield wollte schon wieder zum Haus zurück, als er bemerkte, wie sich unten am Fluss etwas bewegte. Jemand hockte am Ufer und starrte ins Wasser. Er ging die Böschung entlang, bis er direkt oberhalb der Stelle war und Jason Toke erkannte. Wield machte sich an den steilen Abstieg und hielt sich an Büschen und Felsen fest, um nicht zu fallen. Er machte eine Menge Lärm, den das Getöse des Wassers aber offenbar überdeckte. Oder der Junge war, gleich Narziss, zu vertieft, um sich ablenken zu lassen.
    »Morgen, Jason«, sagte Wield.
    Der Junge schoss hoch und drehte sich wie der Blitz zu ihm um, bereit zu kämpfen. Seltsamerweise schien er sich zu entspannen, als er sah, wer es war.
    »Was machst du denn hier?«, fragte Wield. »Auf der Suche nach einem zweiten Eisvogel, den du töten kannst?«
    »Hab ihn nicht getötet«, sagte Toke mit so wenig Nachdruck, dass es überzeugender klang als Empörung.
    »Na schön. Was machst du dann?«
    »Ich guck bloß.«
    »Wohin?«
    »Ins Wasser.«
    Es klang wie eine schlichte Feststellung, nicht wie eine absichtlich freche Bemerkung.
    »Dein Gewehr nicht dabei?«
    »Nein. Brauch ich heute nicht. Ist manchmal besser ohne.«
    »Findest du? Wieso, Jason?«, fragte Wield freundlich.
    Er hob diesen beunruhigenden Blick und sagte: »Manchmal ist es besser. Wenn man es nicht benutzen will.«
    »Ich verstehe«, sagte Wield und hoffte, dass er nicht verstand. »Dann hast du es zu Hause, oder? Ich würde mir gerne mal ansehen, wo du es aufbewahrst, Jason. Sollen wir gehen?«
    »Wenn Sie möchten«, sagte der Junge gleichgültig.
    Wield wollte wieder die steile Uferböschung hinaufklettern, doch als Toke am Flussufer entlanglief, beugte er sich der Ortskenntnis des Jungen und folgte ihm. Irgendwann kamen sie aus der Schlucht, und nach etwa vierhundert Metern führte Toke ihn über ein Feld auf einen Weg, der sie zur Rückseite des Morris Pub und an der Intake Cottage vorbeiführte. Keiner von beiden sagte ein Wort, bis sie den schmalen Pfad erreicht hatten, der durch den verwüsteten Garten führte.
    »Wieso hast du alles runtergeschnitten, Jason?«, fragte Wield.
    »Cordon sanitaire«, sagte Toke, mit korrekter Aussprache. »Will keine Deckung bis direkt ans Haus.«
    »Deckung wofür?«
    »Für die natürlich, wenn sie kommen.«
    »Wenn wer kommt?«
    »Is egal, wer«, sagte Toke und klopfte fünfmal in rascher Folge an die Tür.
    Mrs. Toke machte fast augenblicklich auf, erwiderte Wields Erklärungsversuch mit ihrem gewohnt angestrengten, kurzsichtigen Blick und zog sich ins Wohnzimmer zurück. Toke führte ihn nach oben, ließ die Finger über das elektronische Zahlenschloss an seiner Schlafzimmertür gleiten und stieß die Tür auf.
    Wield, der irgendwie mit einer Hightech-Waffenkammer gerechnet hatte, war überrascht, als er sich unversehens im Schlafzimmer eines ganz gewöhnlichen Teenagers wiederfand.
    Es war unordentlich, der Boden war mit Zeitschriften übersät und die Wände wimmelten von Postern, die mit Reißzwecken befestigt waren. Der einzige annähernde High-Tech-Gegenstand weit und breit war ein

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