Der Schrei des Löwen
beschämt auf seine kaputten Plastikschlappen.
»Ich möchte ein Black Eagle werden«, sagte er kleinlaut. »Und mein Bruder auch.«
»Hoho, nicht so schnell!«, bremste Big Eagle ihn. »So einfach ist das nicht. Die Bruderschaft ist eine Elite! Bei uns kann nicht jeder mitmachen. Das Zeichen des Adlers muss man sich erst verdienen!«
»Ich bin bereit!«, platzte es aus Yoba heraus. »Bitte, Sir! Ich werde Sie bestimmt nicht enttäuschen!«
Der Gangsterboss warf seinem Leibwächter einen fragenden Blick zu, aber Tupac verzog keine Miene. Erst jetzt fiel Yoba auf, dass der Voodoo-Priester verschwunden war. Hoffentlich ließ er seinen Bruder in Ruhe.
»Also schön!«, entschied Big E nach einer Weile. »Wenn du wirklich ein Black Eagle werden willst, musst du beweisen, dass du auch das Zeug dazu hast. Das verstehst du doch, oder?«
»Was soll ich tun?«, fragte Yoba. Sein Herz schlug ihm vor Aufregung bis zum Hals.
»Also, wir haben da ein kleines Problem«, begann Big Eagle, während er die Schublade seines Schreibtisches aufzog. »Und du kannst es für uns aus der Welt schaffen.«
Er zog einen Gegenstand aus der Schublade und legte ihn oben auf die Geldbündel. Yoba spürte, wie ihm die aufsteigende Angst die Kehle zuschnürte.
Der Lauf der Pistole zielte genau auf seinen Bauch.
6.
»Das nervt!« Julian drosch wütend auf die Tastatur seines Laptops ein. Zu spät, seine Spielfigur wurde mal wieder in tausend Stücke geschossen. Entnervt klappte er den Computer zu und sah aus dem Autofenster. Die Landstraße wand sich durch die karge Hügellandschaft, nur hin und wieder säumte ein einsamer Olivenbaum den Weg. Julian hasste Oliven. Und noch mehr hasste er Sizilien.
»Warum können wir nicht in der Nähe vom Flughafen bleiben?«, nölte er auf der Rückbank. Dieser gemeinsame Familienurlaub war schon jetzt eine einzige Katastrophe.
»Das frage ich mich auch«, murrte sein Vater, während er im Schritttempo ein Schlagloch umkurvte. »Sie hätten uns wenigstens ein Auto mit Navi geben können.«
Julians Mutter fuhr mit dem Zeigefinger über die Straßenkarte, die ausgebreitet auf ihren Knien lag. »Wir haben doch die Karte von der Tankstelle«, murmelte sie. »Wir finden den Weg schon.«
»Aber der Typ vom Autoverleih hat gesagt, mit der Abkürzung dauert es bis Capo-Dingsbums höchstens eine halbe Stunde!«, meldete sich Julians jüngere Schwester zu Wort. »Und ich dachte, das Hotel liegt am Meer. Ich seh hier überhaupt kein Meer. Hier gibt’s doch nur Schafe und vertrocknete Bäume!«
Frederike hockte neben ihrem Bruder auf der Rückbank und tippte auf ihrem Handy herum. Wie immer versteckte sie sich und ihre Zahnspange hinter einem Vorhang aus dunkelblonden Haaren.
»Vielleicht liegt das Meer ja in der anderen Richtung«, lästerte Julian. Wenn es so etwas wie SMS-Sucht gab, dann war seineSchwester ganz sicher ein Junkie. »Oder die Hotelfotos im Internet waren ein Fake. Würde mich nicht wundern. Wahrscheinlich liegt das Hotel direkt neben einer Müllkippe.«
Seine Mutter stieß einen ihrer unübertroffenen Weltklasse-Seufzer aus und drehte sich nach hinten: »Die Ferienanlage hat die besten Bewertungen in ganz Sizilien! Also reißt euch zusammen und wartet einfach ab! Wir haben uns vorgenommen gemeinsam einen schönen Urlaub zu verbringen und das werden wir auch!«
Ihre zusammengezogenen Augenbrauen ließen keine Widerrede zu. Dabei hätte Julian schreien können. Während seine Kumpels auf den legendären Partys am Baggersee ihren Spaß hatten, war er dazu verdammt, sich mit seinen Eltern zu Tode zu langweilen. Und garantiert würde Katja wieder mit dem Typen aus der Oberstufe rummachen.
»Nicht einmal eine anständige Klimaanlage hat diese Schrottkiste!«, schimpfte sein Vater.
Er drehte die Klimaanlage hoch, woraufhin seine Mutter sie sofort wieder nach unten regulierte. Sie vertrat die Ansicht, zu viel kalte Luft schade dem freien Fluss der Körperenergie.
»Da an der Kreuzung müssen wir links!« Seine Mutter deutete durch die staubige Windschutzscheibe. »Wenn die Karte stimmt, müsste man gleich das Meer sehen!«
Julians Vater folgte der Anweisung mit einem vernehmbaren Grunzen, aber vom Meer fehlte weiterhin jede Spur. Stattdessen durchquerten sie ein Dorf mit weiß getünchten Häusern. Abgesehen von den streunenden Hunden und den schwarz verhüllten Frauen, die ihnen misstrauische Blicke zuwarfen, schien die abschüssige Dorfstraße in der flimmernden Mittagshitze wie
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