Der Schrei des Löwen
erschien das Gesicht eines etwa dreißigjährigen, gut aussehenden Mannes in einem bunten Hemd. Misstrauisch musterte er den Straßenjungen, aber als er das fettige Zeitungspapier in Yobas Linken bemerkte, hellte sich seine Miene auf.
»Mit schönen Grüßen von unten!«, log Yoba.
Offenbar hatte der Mann ebenso großen Hunger wie er, denn er ließ alle Vorsicht fahren und trat auf den Flur hinaus. Auf diesen Moment hatte Yoba gewartet. Er ließ das Essenspaket fallen, zog blitzschnell die Pistole und richtete sie auf den Kopf des Mannes. Gleichzeitig drängte er ihn zurück in das Zimmer.
»Wo ist Big Eagles Geld?«, zischte er und kickte mit der Ferse die Tür zu.
Gleichzeitig zielte er auf das Gesicht des viel größeren Mannes. Der Lauf der Pistole zitterte. Yoba war irritiert. Er hatte erwartet, dass der Dieb im Angesicht des Todes um sein Leben betteln würde, aber der Verräter ließ sich einfach auf die Pritsche sinken. Sie war neben einem Stuhl das einzige Möbelstück in dem Zimmer.
»Sie hat mich also verraten«, sagte der Mann bitter.
»Das interessiert mich nicht!«, blaffte Yoba. »Wo ist das Geld?«
Er war extrem nervös. Die Sache war schwer genug und jetzt lief sie auch noch anders als geplant. Er hatte nie wirklich vorgehabt den Mann zu erschießen. Aber er musste Big E unbedingt das Geld bringen. Er hoffte, der Gangsterboss würde sich damit zufriedengeben und Chioke gehenlassen.
»Unter dem Bett«, antwortete der Mann gleichgültig. Dann sah er Yoba an. »Verknall dich niemals in eine Frau, Kleiner! Egal wie sehr sie vorgibt dich zu lieben!«
»Geh da rüber!«, befahl Yoba. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Mit vorgehaltener Waffe dirigierte er den Mann von der Pritsche weg. Anschließend zwang er ihn sich auf den Stuhl neben dem Fenster zu setzen. Dabei ließ er ihn keine Sekunde aus den Augen. Blitzschnell zog er die Tasche unter dem Bett hervor und warf einen kurzen Blick auf den Inhalt. Sie war randvoll mit Geldbündeln und obenauf lagen zwei Flugtickets.
»Ist das alles?« Yoba drückte den Lauf der Pistole gegen die Stirn des Mannes, der nicht halb so viel Angst zu haben schien wie er selbst.
»Das ist alles, was noch da ist«, erwiderte er müde. »Die Tickets gab es schließlich nicht umsonst.« Er sah unter dem Lauf der Pistole hindurch aus dem Fenster. »Heute Abend wollten wir zum Flughafen. Wir hätten es fast geschafft.«
»Hör auf zu quatschen!«, herrschte ihn Yoba an, aber der Gangster fuhr ungerührt fort.
»Wie alt bist du?«, wollte er wissen.
»Alt genug!«, blaffte Yoba zurück.
Sein Gegenüber lächelte versonnen. »Ich war auch so ein junger Kerl wie du, als mich Big E zu seinem Ziehsohn gemacht hat. Weißt du das? Ich dachte, ich hätte das große Los gezogen.« Er lachte bitter. »Und jetzt schickt er ein Kind, um mich zu töten!«
»Du hast ihn verraten!«, erwiderte Yoba kalt.
»Ich habe mir nur hin und wieder ein bisschen von den Einnahmen abgezweigt. Mary und ich wollten ein anderes Leben. Wir wollten frei sein und eine Familie gründen. Jetzt muss sie wieder auf der Straße arbeiten. Nennst du das etwa Verrat?«
Der Mann wirkte gefasst. So, als habe er sich bereits mit seinem Tod abgefunden.
»Und, was wirst du jetzt tun?«, fragte er.
»Big E das Geld zurückbringen«, erwiderte Yoba. »Alles andere interessiert mich nicht.«
Er griff nach der Tasche und öffnete das Fenster. »Auf jeden Fall bin ich kein Mörder!«, sagte er.
Dann sprang er hinaus. Er landete auf einem mit Autoreifen beschwerten Bretterdach, rutschte herunter und rannte davon.
8.
Die Hyäne grub ihre Zähne tief in das Antilopenfleisch. Sie riss ein Stück heraus und verschlang es mit einem zufriedenen Schmatzen. Schwärme von Stechmücken umhüllten die überall im Garten der Villa verteilten Lampen. Big Eagle saß in seinem Designeranzug auf der hell erleuchteten Terrasse und sah der Hyäne gebannt beim Fressen zu. Die Wildheit dieser Kreatur faszinierte ihn ebenso wie ihr Mut und ihr unbändiger Wille zu überleben. Er selbst hatte mit zwölf Jahren seinen ersten Menschen getötet. Es war ein Bauer gewesen und er kannte nicht mal seinen Namen. Dennoch hatte er das Gesicht bis heute nicht vergessen. Der Milizchef hatte ihn vor den Augen der Männer dazu gezwungen. Als Rache dafür hatte Big Eagle ihm Jahre später die Kniescheiben zerschossen und ihn in der Wildnis verrecken lassen. Bei dem Gedanken, dass sein Peiniger womöglich ein Opfer der Hyänen geworden
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