Der Schrei des Löwen
seid!«, befahl er. Dabei ließ er den Jungen mit der Pistole nicht aus den Augen.
Seine Leute blieben unschlüssig auf der anderen Seite des Swimmingpools stehen. Auch Yoba wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Abwechselnd zielte er mit der Pistole auf Big Eagle und seinen verletzten Leibwächter. Gleichzeitig kämpfte er gegen die Übelkeit an. Bestimmt würde er sich gleich übergeben müssen.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich bei Adaeke, während sie mühsam wieder auf die Beine kam.
Sie strich sich mit fahrigen Händen ihr Kleid glatt und nickte. Erst jetzt entdeckte Yoba seinen Bruder. Chioke stand wie angewurzelt neben dem tattrigen alten Diener in der Terrassentür. »Komm her!«, rief er ihm zu.
Sein Bruder setzte sich wie ein Roboter in Bewegung. Yoba überlegte fieberhaft, wie sie jetzt mit heiler Haut aus der Sache herauskommen konnten. Mit der Waffe in seiner Hand, taten plötzlich alle, was er sagte. Der mächtige Big Eagle kuschte vor ihm und selbst der unheimliche Voodoo-Priester hatte seine Überheblichkeit eingebüßt. Yoba verspürte große Lust, ihm noch ein bisschen mehr Angst einzujagen.
»Und?«, holte ihn Big Eagle in die Realität zurück. »Was hast du jetzt vor?« Er nickte in Richtung der toten Hyäne. »Du weißt: Dafür werde ich dich töten!«
»Ach, ja?«, sagte Yoba in einem Ton, der ihn selbst erschreckte. »Vielleicht sollte ich dich töten!«
Er zielte dem Gangsterboss genau zwischen die Augen. Plötzlich zitterten seine Hände nicht mehr, sie waren ganz ruhig. Auch die Übelkeit war wie weggeblasen. Stattdessen fühlte er sich, als würde er schweben.
»Geht alle da rein!« Yoba deutete mit der Pistole auf das Gartenhaus. Es war so groß wie eine Garage und hatte vergitterte Fenster. »Ihr auch!«, schrie Yoba die Torwachen an, die immer noch wie angewurzelt hinter dem Swimmingpool standen. »Macht schon! Sonst knalle ich euren Boss ab! Und helft eurem Kumpel da!«
Tupac funkelte ihn an, als wolle er sich trotz seines zerschossenen Oberschenkels auf ihn stürzen. Big Eagle und die anderen Gangmitglieder zögerten, aber angesichts des aufgeputschten Jungen mit der Waffe hielten sie es am Ende doch für ratsam, seinen Anweisungen Folge zu leisten. Sie halfen dem stöhnenden Tupac hoch, dann ließen sie sich zusammen mit dem Diener und dem Voodoo-Priester in das Gartenhaus sperren.
»Ich werde dich finden!«, zischte Big Eagle, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. »Und wenn du dich am anderen Ende der Welt versteckst!«
Yoba drehte den Schlüssel mit der linken Hand um, zog ihn ab und warf ihn in den Pool. Er überlegte kurz, dann warf er die Pistole ebenfalls ins Wasser. Ihm war speiübel. Soeben hatte er den größten Fehler seines kurzen Lebens begangen. Eigentlich waren er und Chi-Chi schon jetzt so gut wie tot. Diese Erkenntnis traf ihn wie der Tritt eines Elefanten. Er sank in die Knie und übergab sich auf den perfekt getrimmten Rasen.
Plötzlich legte jemand von hinten seine Hand auf Yobas Schulter. Es war sein Bruder, der ernst auf ihn hinabblickte. Neben ihm stand Adaeke.
»Geht es wieder?«, erkundigte sie sich.
Yoba wischte sich über den Mund und versuchte ein Lächeln. Es gelang nicht wirklich.
»Du und Chi-Chi, ihr müsst aus der Stadt verschwinden«, sagte Adaeke. »Und zwar schnell!«
»Ja, haut bloß ab!«, schimpfte ihre Mutter. Sie raffte ihre Röcke zusammen und erhob sich umständlich vom Boden, auf dem sie bis zu diesem Moment gekauert hatte. Kaum war der Voodoo-Priester eingesperrt, erwachte sie wieder zu vollem Leben. »Ihr nichtsnutzigen Diebe!«, krakeelte sie. »Ihr bringt nur Unheil! Jesus, womit habe ich das nur verdient!«
Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Sei endlich still!«, herrschte Adaeke sie an. Ihrer Mutter blieb der Mund offen stehen. Noch nie hatte ihre Tochter so mit ihr geredet.
Adaeke wandte sich an Yoba. »Hör nicht auf sie! Ich bin dir sehr dankbar für deine Hilfe, aber jetzt müsst ihr gehen!«
»Ich weiß.« Yoba zitterte nun am ganzen Körper. Trotz der schwülen Tropennacht. »Wartest du auf mich?«
Adaeke sah ihn nachdenklich an. Schließlich nickte sie. Yobas Herz machte einen Hüpfer und am liebsten hätte er Adaeke vor Glück umarmt. Aber das gehörte sich nicht. Sie waren weder verlobt noch verheiratet. Seiner toten Mutter hätte das bestimmt nicht gefallen.
»Ich werde dich holen!«, keuchte Yoba stattdessen. Er nahm die Geldtasche vom Tisch und ergriff die Hand seines
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