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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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Stadtrand. Das eingezäunte Treibstofflager bestand aus mehreren in die Erde eingelassenen Kesseln. Dazwischen verliefen armdicke Rohre, knallrot lackierte Ventile glänzten im Licht der aufgehenden Sonne. Schon aus der Ferne schlug ihnen der scharfe Benzingeruch entgegen. Anthony wechselte ein paar Worte mit dem Wächter, danach durften sie passieren. Er führte Yoba und seinen Bruder schnurstracks zu einem zerbeulten Tanklaster. Wie der pralle Schlauch vermuten ließ, wurde er soeben betankt.
    »Wir sind da!«, sagte Anthony zu einem Paar Beinen, das unter dem Motorblock des Tanklasters hervorlugte und in einer geflickten Latzhose steckte. Ein Mann mit grauen Schläfen kroch unter dem Laster hervor. In der einen Hand hielt er einen Schraubenschlüssel, mit der anderen zog er ein Tuch ausder Gesäßtasche. Er wischte sich damit über die Stirn und sah die beiden Jungen wortlos an. Sein vogelähnliches Gesicht war voller Getriebeöl.
    »Das ist Osondu«, stellte Anthony ihn vor. »Er nimmt euch mit nach Kano.« Dann wandte er sich an seinen Freund. »Der Große heißt Yoba und sein Bruder Chioke. Ich hoffe, du bringst sie heil zu ihrer Tante.«
    Anthony zahlte den vereinbarten Preis mit dem Geld, das Yoba ihm zuvor gegeben hatte. Der Fahrer steckte die Scheine schlecht gelaunt ein.
    »Ich tue das nur wegen meinem Jungen«, grummelte er. »Ich bin kein Busunternehmen. Damit das mal klar ist!«
    Chioke stand da, als ginge ihn das Ganze nichts an. Mit einem merkwürdigen Lächeln beobachtete er die Spatzen, die sich auf dem Dach des Lasters und im Sand zwischen den Benzinlachen tummelten.
    Osondu beäugte ihn misstrauisch. »Was ist denn mit dem los? Ist der verrückt?«
    »Nein, nein!«, entgegnete Yoba rasch. »Der ist ganz harmlos. Mein Bruder hat sich nur den Kopf gestoßen. Manchmal weiß er einfach nicht, wo er gerade ist. Aber es wird schon besser!«
    Der Mann betrachtete Chioke mit skeptischer Miene. Schließlich spuckte er in den Sand. »In drei Minuten fahren wir ab!«
    Dann kroch er mit dem Schraubenschlüssel wieder unter den Laster, um seine Arbeit fortzusetzen. Anthony zog die Brüder ein paar Schritte zur Seite.
    »Was hast du ihm über uns erzählt?«, wollte Yoba von ihm wissen. »Wir haben keine Tante.«
    »Hör zu!« Anthony senkte seine Stimme. »Osondu glaubt, dass mich eure Mutter gebeten hat euch zu ihrer Schwester zu bringen. Das Fahrtgeld stammt angeblich von ihr. Osondu braucht es für Medikamente, weil sein Sohn krank ist.«
    »Was hat er denn?«, wollte Yoba wissen.
    »Das weiß ich nicht!«, erwiderte Anthony wirsch. »Niemand darf von eurem Geld erfahren, hast du mich verstanden?«
    »Keine Bange!«, beruhigte Yoba ihn. »Ich habe nicht alles mitgenommen.«
    Mit einem verschwörerischen Grinsen hielt er eine Plastiktüte hoch. Darin befand sich lediglich eine runde Blechdose, randvoll mit Dollarscheinen.
    »Den Rest habe ich bei dir gelassen«, fuhr Yoba fort. »In dem Polster von deinem Bett, um genau zu sein. Die Dose habe ich bei dir ausgeliehen.«
    »Du hast was!?« Der Greis war entsetzt.
    »Ich habe das meiste von dem Geld dagelassen, damit du Adaeke und ihrer Mutter helfen kannst. Und falls uns unterwegs was passiert. Für die Fahrt habe ich genug. Wenn wir unseren Onkel gefunden haben, kannst du uns den Rest ja schicken.«
    Anthony hatte es die Sprache verschlagen. »Das hättest du mir sagen müssen!«, schimpfte er leise und warf einen ängstlichen Blick über die Schulter. Im Schatten des Benzintanks standen zwei Männer in Overalls und rauchten. Über ihren Köpfen hing ein handgemaltes Schild mit einer durchgestrichenen Zigarette.
    Plötzlich packte Yoba den Greis an den Arm. »Anthony, bitte versprich mir, dass du Adaeke beschützt!«
    »Ich bin ein alter Mann«, wehrte Anthony ab. »Wie soll das gehen?«
    Aber Yoba ließ nicht locker. »Bitte!«, flehte er. »Sie braucht ja nichts davon zu wissen. Ich meine, woher das Geld kommt. Versprichst du es?«
    Der alte Mann schwieg. Als er zögernd nickte, atmete Yoba erleichtert auf. »Wartet hier auf mich!«, sagte er und rannte davon.
    Draußen vor dem Zaun des Treibstofflagers schlenderten zwei Jungs in blitzsauberen Schuluniformen vorbei. Wahrscheinlich wohnten sie in den Villen entlang der Ausfallstraße. Yoba verließ das Gelände und fing die beiden Schuljungen ab. Er drückte ihnen etwas in die Hand, woraufhin einer der Jungen seine Turnschuhe auszog. Triumphierend kam Yoba zurück.
    »Die sind für dich!«, sagte er zu

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