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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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Moped ohne Licht vorbei. Im Dunkel der Nacht war der Fahrer nicht zu erkennen.
    »Bitte, Anthony!«, drängte Yoba. »Du bist der Einzige, der uns helfen kann! Du kennst doch jeden in der Stadt! Bestimmt weißt du auch, wer uns nach Europa bringen kann! Bitte!«
    »Europa ist weit.« Der alte Mann ließ sich müde zurück auf seine wackelige Autobank sinken. »Viele sterben auf dem Weg durch die Wüste. Oder auf dem großen Meer.«
    »Aber nicht alle!«, widersprach Yoba. »Mein Onkel hat es zum Beispiel geschafft!«
    »Und woher weißt du das? Hast du jemals von ihm gehört?«
    »Bestimmt arbeitet er viel«, behauptete Yoba. »Damit er schneller reich wird und bald zurückkommen kann.«
    In Europa hatte niemand Zeit, weil alle mit dem Reichwerden beschäftigt waren. Das wusste doch jeder.
    »Ich werde auch viel arbeiten, wenn ich bei den Weißen bin.« Yoba zog die Nase hoch. »Sobald ich genug verdient habe, werde ich einen Arzt bezahlen, damit er Chi-Chi gesund macht. Und wenn er geheilt ist, schicke ich ihn auf die beste Schule, die es gibt. Damit er auch lesen lernt.«
    Der alte Parkplatzwächter forderte Chioke mit einem Wink dazu auf, neben ihm Platz zu nehmen. Yobas Bruder gehorchte und der alte Mann strich ihm über das verfilzte Haar. Dabei sah er nachdenklich in die brennende Kerze.
    »Mit dem vielen Geld in der Tasche werdet ihr nicht weit kommen«, sagte Anthony nach einer Weile. »Da draußen gibt es viele schlechte Menschen. Sie werden euch die Kehle durchschneiden, das Geld nehmen und eure Leichen in den Straßengraben werfen.«
    »Ich kann auf Chi-Chi und mich aufpassen!«, versicherte Yoba eilig. »Außerdem ist es immer noch besser, als Big E in die Hände zu fallen!«
    Anthony starrte weiter in die Kerzenflamme. Im flackernden Licht glichen die Falten seiner Haut tiefen Gräben.
    »Bitte!« Yoba knetete ungeduldig seine Finger. »Wenn du uns nicht hilfst, sind wir verloren!«
    Anthony drehte den Kopf und sah Yoba mit traurigen Augen an. »Warum kehrt ihr nicht einfach in euer Dorf zu eurem Vater zurück?«, fragte er.
    »Weil wir nicht nach Hause zurückkönnen«, entgegnete Yoba. »Ich habe dir erzählt, was passiert ist. Sieh dir Chi-Chi doch an!«
    Sein Bruder hatte sich mittlerweile auf der Autobank zusammengerollt.
    »Wir können nicht zurück«, sagte Yoba leise. »Das weißt du genauso gut wie ich.«
    Anthony tätschelte Chiokes Kopf. Er schien eingeschlafen zu sein.
    »Na los! Steh nicht so faul rum!«, brummte er Yoba an. »Hilf mir lieber hoch!«
    Yoba gehorchte. Nachdem Anthony seine Uniform angezogen hatte, wandte er sich zum Gehen.
    »Ihr rührt euch nicht von der Stelle!«, schärfte er Yoba mit erhobenem Zeigefinger ein. »Verstanden? In der Zwischenzeit werde ich sehen, was ich tun kann.«
    Der alte Mann stieß einen resignierten Seufzer aus und verließ kopfschüttelnd den Bretterverschlag. Yoba legte eine löchrige Decke über seinen schlafenden Bruder, um ihn vor den umhersurrenden Moskitos zu schützen. Dann hockte er sich neben ihn auf die gestampfte Erde, zog die Tasche mit dem Geld zwischen seine Knie und blies die Kerze aus. Er lauschte. Alles war still, die zwanghaft geschäftige Stadt schien für die wenigen Stunden, die noch bis zum Sonnenaufgang blieben, tatsächlich in eine Art Schlaf gefallen zu sein.
    Die Stille und die Warterei machten Yoba müde. Seine Lider wurden immer schwerer, aber er zwang sich wach zu bleiben. Solange sein Bruder und er in der Stadt waren, war ihr Leben keinen Naira wert. Gleichzeitig gesellte sich zu seiner Angst allmählich ein gewisses Hochgefühl. Heute Morgen noch hatten Chi-Chi und er um ihr Essen betteln müssen – jetzt waren sie plötzlich so reich wie ein Drogenbaron! In Zukunft konnten sie essen, was immer sie wollten. Und nicht nur das: Sie konnten sogar zu Onkel Abeche nach Europa reisen. Ganz gleich was es kostete, jetzt verfügten sie über genug Dollars, um die teure Reise zu bezahlen. Sein Entschluss stand bereits fest: Ob es Anthony passte oder nicht – Chioke und er würden nach Europa gehen.
    Yoba drückte die Leinentasche mit dem Geld ganz fest an sich. Als er das kleine Notizbuch in seinem Hosenbund spürte, kam ihm eine Idee. Er tastete nach Anthonys Einwegfeuerzeug und zündete die Kerze wieder an. Anschließend holte er denBleistiftstummel, mit dem der alte Parkplatzwächter gelegentlich die Kennzeichen notierte, damit sich kein Unbefugter einschlich. Danach saß er einfach nur da, sah in die Flamme der Kerze und

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