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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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eingekleidet, wobei Yoba sich auch endlich richtige Schuhe gekauft hatte. Sie hatten silberne Streifen und sahen wirklich klasse aus. Seiner Meinung nach waren es die schönsten Turnschuhe in ganz Afrika. Außerdem hatte er für sich und seinen Bruder zwei Fußballtrikots gekauft. Chioke wollte unbedingt ein Lionel-Messi-Trikot vom FC Barcelona haben. Es war blau-rot gestreift und trug die Nummer zehn auf dem Rücken. Er selbst entschied sich für ein blaues Chelsea-Trikot von Didier Drogba.
    Danach hatte er einen abseits gelegenen Schuhstand gesucht und noch acht weitere Paar Herrenschuhe verschiedener Größe erstanden. Nicht so teuer wie seine eigenen, aber dennoch von brauchbarer Qualität. Damit war er ein großes Risiko eingegangen, denn natürlich erregten zwei minderjährige Jungen, die mit blitzsauberen Dollarscheinen bezahlten, auf dem Markt gehöriges Aufsehen. Aber Yoba hatte keine Wahl,wenn sein Vorhaben gelingen sollte. Die Schuhe waren Teil seines Plans. Trotzdem war er froh gewesen, als Chioke und er Kano endlich verlassen hatten. Ein zum Taxi umfunktionierter Pick-up hatte sie bis zur Grenze mitgenommen. Gegen gute Bezahlung, versteht sich.
    Die neuen Schuhe an seinen Füßen fühlten sich ungewohnt, aber großartig an. Mit ihnen konnte man überall herumlaufen, ohne ständig Angst haben zu müssen, in eine Scherbe oder einen spitzen Stein zu treten.
    Endlich kam wieder Bewegung in die Menschenschlange. Yobas Herz machte auch dieses Mal einen Hüpfer. Je näher sie der Grenzstation kamen, desto aufgeregter wurde er. Die junge Mutter vor ihm erhob sich, schleifte ihre mit Erdnüssen gefüllten Jutesäcke ein paar Schritte weiter und ließ sich wieder darauf nieder. Ein schlafendes Baby lugte aus dem Tuch auf ihrem Rücken. Die sengende Sonne schien ihm nichts auszumachen. Chioke starrte die ganze Zeit auf das friedlich schlafende Baby vor ihm. Er lächelte. Ob er wohl ebenso nervös war wie Yoba? Seit dem Abschied von dem blinden Bettler hatte Chioke keinen Ton mehr von sich gegeben.
    Plötzlich brach an der Spitze der Schlange ein wüstes Geschrei los. Die Soldaten schleppten einen jungen Mann in die Baracke am Straßenrand. Er wehrte sich heftig. Kurz darauf hörte man einen gellenden Schrei, gefolgt von lähmender Stille. Die Wartenden senkten ihre Köpfe und taten so, als hätten sie nichts von dem Vorfall mitbekommen. Yoba bekam nun doch etwas Angst. Was war mit dem Mann in der Baracke wohl geschehen?
    Als sein Bruder und er endlich an der Reihe waren, rastesein Herz und ihm wurde schlecht. Der hünenhafte Soldat sah argwöhnisch auf sie herab. »Papiere!«, blaffte er.
    »Wir … wir haben keine Papiere!«, stotterte Yoba auf Haussa. Hoffentlich ging sein Vorhaben auf.
    Der Soldat machte eine ungeduldige Handbewegung. »Verschwindet! Ihr haltet alles auf!«
    Dann wandte er sich an den nächsten Erwachsenen. Es handelte sich um einen Mann mit zwei Plastiktüten voller Zigarettenstangen.
    »Aber wir müssen über die Grenze«, flehte Yoba den Soldaten an. »Sonst verdienen wir nichts!«
    Er zog den Reißverschluss der Leinentasche auf, in der sich die gekauften Schuhe befanden. Wie erwartet erwachte das Interesse des Soldaten sofort. »Die wollen wir drüben verkaufen«, erklärte Yoba scheinheilig. »Erstklassige Ware, direkt vom berühmten Ariaria-Schuhmarkt in Aba.«
    Der Soldat griff ungefragt in die Tasche, holte ein Paar schwarze Halbschuhe heraus und hielt sie hoch.
    »Hey, Azim, wie findest du die?«, rief er einem der blutjungen Soldaten zu. Er kontrollierte gerade einen mit gebrauchten Generatoren beladenen Lastwagen. »Die sind doch für deine Hochzeit genau das Richtige! Was meinst du?«
    »Äh, wenn Sie wollen, können Sie das Paar behalten«, meldete sich Yoba großzügig zu Wort. »Aber Sie müssen uns dafür über die Grenze lassen.«
    Der Soldat beachtete ihn gar nicht. Er warf die Schuhe seinem Kollegen zu und griff erneut in die Tasche. Seelenruhig suchte er nach einem weiteren Paar. Yoba versuchte ganz langsam zu atmen und sich nichts anmerken zu lassen. Die dicken Geldpacken, die er seinem Bruder und sich selbst in die neuenUnterhosen gestopft hatte, pieksten furchtbar. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie Chioke sich ausgiebig im Schritt kratzte, obwohl er ihm eingeschärft hatte, gerade das nicht zu tun. Zum Glück schöpfte der Soldat keinen Verdacht. Er nahm wohl an, es wären die üblichen Läuse und Flöhe, die seinen Bruder plagten. Woher sollte er auch wissen,

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