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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Little
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außerhalb des Viertels
    Es ist, als beobachte man Vögel,
    die sich zum Abflug sammeln.
    Ich geselle mich nicht zu ihnen. Stattdessen
    kauere ich mich in eine Gasse
    zwischen zwei schmalen Häusern.
    Ich will nicht gesehen werden.
    Ich fürchte noch mehr Schläge oder, noch schlimmer, Gefängnis.
    Ich fürchte auch Freundlichkeit.
    Ich muss allein sein. Ich muss nachdenken.
    Aber es gibt mir einen Hauch von Trost,
    all diese Männer zu sehen, die regelmäßig
    eine kleine Wegstrecke gehen, damit sie
    zu unserem Gott sprechen können.
      
    Regung
    Schwarze Nacht.
    Nichts regt sich.
    Warte – da war etwas.
    Wirklich? War dieser dunklere,
    flüchtige Schatten ein Mensch?
    Schaut jemand herunter
    aus diesem Fenster dort oben?
    Wenn ich gesehen werde, muss ich gehen.
    Dieser Christ – der Schurke, der mich geschlagen
    und angegrinst hat – wird sagen, ich hätte ihn bedroht.
    Mit einer Waffe natürlich.
    Ich weiß, wie so was läuft.
    Das ist mehr als genug
    für ein Todesurteil, bei einem Mauren.
    Nein, da ist niemand.
    Es war nur ein Vogel.
      
    Vogel
    Der Vogel
    ist ein Engel.
    Als ich erwache, liege ich
    unter einer weichen Wolldecke.
    Eine Schale mit klarem Wasser
    steht neben meinem Kopf.
    Meine Stirn ist noch feucht
    vom Kuss eines Tuches.
    Außerdem liegt da ein Laib warmes Brot
    und – Preis sei Allah! – ein gekochtes Ei.
    Ich schaue zu dem Fenster hinauf.
    In diesem Licht sehe ich, dass es
    von einem raffinierten schwarzen Sichtschutz bedeckt ist.
    Die Person, die drinnen ist, kann hinausschauen,
    aber niemand kann von draußen hineinschauen.
    Diese Art Sichtschutz wird
    in Büchern von jungen Mädchen benutzt –
    Mädchen, die zu hübsch sind, um sich Blicken auszusetzen.
    Aber jetzt ist nicht die Zeit
    für romantische Geschichten.
    Ich bin nicht so ein Esel wie Ramón!
    Ich muss meine Wunden auswaschen
    und weiterziehen.
      
    Zuflucht
    Wenn ich es je nötig hatte, zu beten,
    dann jetzt.
    Ich möchte für meinen Gott rein sein,
    aber zum Brunnen für die Waschungen
    geht es drei hohe Stufen hinauf,
    und ich bin zu schwach, um sie zu erklimmen.
    Allah, so beschließe ich, wird verstehen.
    Die Schale mit klarem Wasser,
    in der ich meine Wunden gewaschen habe,
    wird Ihm für diesmal genügen.
    Ich bete, dann lege ich mich in einen dunklen, ruhigen Winkel.
    Niemand schaut zweimal hin.
    Die Moschee ist der Ort für uns Muslime,
    an dem wir uns treffen, beten und und wie freie Menschen
    bewegen können,
    die wir laut der Krone ja angeblich sind.
    Aber nachts ist sie abgeschlossen.
    Es hat Probleme gegeben.
    Das habe ich schon einmal gehört.
    Manche Christen scheinen wohl
    ihren starken Wein nicht zu vertragen.
    Sie kommen hierher, um ihren Ärger an dem auszulassen,
    was uns teuer ist.
    Letztes Jahr wurde ein Teil des mihrab – des heiligsten
    Ortes in der Moschee, der nach Mekka blickt –
    in Stücke geschlagen.
    Deshalb kehre ich am Abend
    in die Gasse zurück.
    Ich weiß, dass ich gesehen werde.
    Aber ich bin schwach.
    Jeden Morgen
    der Laib Brot und das Ei
    und die kühle, frisch aufgefüllte Schale.
    Jeden Mittag sage ich mir:
    Zieh weiter.
    Aber jeden Abend
    antworte ich:
    Nur noch eine Nacht.
      
    Christen und Mauren
    Heute Morgen wird meine Schale umgeworfen
    und beendet einen Traum, in dem mir ein Stiefel
    an den Kopf tritt.
    Ein Heer ist in das Viertel gekommen.
    Aber dieses Heer braucht man nicht zu fürchten –
    außer als Vorzeichen für Zeiten, die bald kommen werden.
    Es ist nur ein Umzug von Kriegern,
    ein alljährliches Spiel der Christen.
    Kleine Jungen, die so wild sind wie junge Hunde, wuseln herum.
    Diejenigen, die wie Mauren gekleidet sind, haben Krummsäbel
    und Bärte, die sie mit verkohltem Kork auf ihr Kinn aufgemalt haben.
    Natürlich trägt am Ende des Tages das Kreuz den Sieg davon.
    Die Jungen, die Christen spielen, recken Schwerter
    gen Himmel, einen Fuß auf den Rücken
    der schnell besiegten Mauren gestellt.
    Im Leben ist es nicht immer so.
    Erinnert ihr euch an den Aufstand in der Axarquía?
    Wir sind schwerer zu besiegen
    als spielende Kinder.
    (Kinder, die angewiesen sind, zu verlieren!)
    Letzten Monat haben Ramón und ich zugeschaut,
    wie das Heer aus Córdoba ausgezogen ist,
    um die Muslime im Süden zu bekämpfen.
    Es waren zwölftausend Mann zu Pferd,
    dahinter zu Fuß noch
    fünfmal so viele.
    Sie wissen ganz offenkundig, dass ihre Aufgabe schwer sein wird!
      
    Freund oder Freundin
    Heute Morgen schließt sich die Tür just in dem Augenblick,
    in dem

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