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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Little
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Ruderschlägen.
    Mein Ruder ist nicht mit Geschichten bedeckt.
    Aber am ersten mühsamen Morgen
    fällt schwaches Licht durch Wurmlöcher in der Bordwand.
    Da, auf meinem Ruderblatt – eine Botschaft.
    Sie ist auf Latein,
    aber ich kann sie übersetzen.
    Oft war ich erschöpft, wenn ich an dir schuftete.
    Ich frage mich, ob diese neun Wörtchen
    die Zusammenfassung meines Schicksals enthalten.
      
    Freiheitstraum
    Unser bisschen Schlaf müssen wir im Sitzen finden,
    weiter an unsere Ruder gekettet.
    Wir sind nicht wählerisch. Wir schnappen uns diese Stunden,
    als wären sie etwas zu essen.
    Anfangs träume ich nicht.
    Ich bin zu müde dafür.
    Aber eines Nachts träume ich doch.
    Es ist unfair. Mit so wenig Schlaf
    sollte ich von heißen Bädern
    oder schönen Mädchen träumen,
    die in weiche Seide gehüllt sind.
    Stattdessen erscheint Ramón.
    Er stochert mit den Fingern in der Erde herum.
    »Er ist irgendwo hier unten«, sagt er.
    »Ich werde dich freikaufen.«
    Er gräbt und wühlt.
    Ich bin zornig. Ich gehe weg.
    Aber sein Ausruf holt mich zurück.
    »Hier ist er!« Er grinst.
    In seiner Hand liegt der raue Bimsstein,
    den wir als Schreiber benutzten, um unsere Fehler wegzurubbeln.
      
    Der Stein
    Am Morgen bin ich verblüfft.
    Der Tribun reicht mir –
    einen großen Bimsstein!
    Bin ich ein Prophet, oder was?
    Mein Trommelfell explodiert.
    Der Mann hat zugeschlagen.
    »Sitz nicht da und glotze!«
    Er reißt mir den Stein wieder weg.
    Diesmal brüllt er
    in mein schmerzendes Ohr.
    »Begreifst du nicht?
    Also, schau her, mach das.«
    Er reibt den Stein
    auf dem Ruderblatt hin und her.
    Dann gibt er ihn mir wieder, dazu einen letzten Schlag,
    damit es sich lohnt.
    Ich wollte, ich könnte seinen Kopf anspitzen!
    Noch besser, ihn stattdessen
    mit scharfen Worten durchbohren.
      
    Rhythmus
    Vorbeugen, ziehen.
    Die Ruder herausheben
    und dann eintauchen.
    Mein Herz muss inzwischen im Rhythmus
    dieser Schläge klopfen.
    Ich kann nicht denken.
    Ich rudere nur.
    Ab und zu
    geht mir ein Lied durch den Sinn,
    aber dann gerät der Puls
    meines Ruderns zu sehr aus dem Tritt.
    Ich muss mich konzentrieren,
    wenn ich nicht den Takt verlieren
    und mit solcher Kraft verrenkt werden will,
    dass meine Arme brechen könnten.
    Vorbeugen, ziehen.
    Die Ruder herausheben
    und dann eintauchen.
    Würden die anderen singen
    und den Takt halten,
    könnte es funktionieren.
    Aber wir werden gepeitscht, wenn wir auch nur
    beim Reden erwischt werden.
    Ich habe schon genug Hiebe bekommen,
    dass sie für sieben Leben reichen.
    Vorbeugen, ziehen.
    Die Ruder herausheben
    und dann eintauchen.
    Als Schiffe erstmals diese Gestade befuhren,
    schon unter den Pharaonen,
    wurden die Ruderer höher geschätzt
    als alle anderen.
    Die Zeiten haben sich geändert.
    Trotzdem muss ich über das staunen,
    was wir Männer fertigbringen.
    Vierhundert Ruder.
    Zweihundert Männer.
    Alle mit Herzen und –
    obwohl man das leicht vergisst –
    Köpfen. Alle bewegen sich
    wie ein Einziger.
    Vorbeugen, ziehen.
    Die Ruder herausheben
    und dann eintauchen.
      
    Ferne
    Ich werde besser.
    Zwar hört der Schmerz, der meine Arme
    hinaufschießt, nicht auf.
    Aber wenigstens kann ich jetzt, solange ich rudere,
    denken, woran ich will.
    Kann ich das wirklich?
    Meine Gedanken scheinen in Córdoba festzuhängen.
    Bei unserem Innenhof und seinem kleinen
    Zitronenbaum.
    Einen Zweig jenes Baumes
    sah ich immer als meinen an.
    Eine Taube, in einem Braun,
    das heller war als Teig,
    kam jeden Abend.
    Sie setzte sich auf meinen Zweig.
    Ihr Ruf erfüllte mein Herz
    mit einer schmerzlichen Freude.
    Was machst DU?, sang sie immer.
    Was machst DU?
    Wenn ich diese Taube wäre,
    würde ich dorthin zurückfliegen
    in dreihundert Hammerschlägen.
    Na ja, wohl eher dreitausend.
    Aber ich könnte.
    Es ist nicht gar so weit.
    Aber für mich, in diesen Ketten,
    ist jener Zitronenbaum
    so weit weg wie Schiras,
    der Geburtsort von Hafis.
    Oder noch weiter. So weit, wie die Hölle
    vom Himmel weg ist.
    Vielleicht die ganze Entfernung,
    die ein Leben enthalten kann.
     

Drei
    RAMÓN
    Jerez und Málaga,
Kastilien
1492

Sägemehl
    Jetzt Jerez.
    Wie viele Städte macht das?
    In vier Jahren Arbeit für das Heilige Offizium
    wurde ich so viel herumgeschickt,
    dass sie sich eher wie vierzig anfühlen.
    Die klugen Köpfe, die diese gewaltige
    Maschine in Gang halten,
    mögen es nicht, wenn wir, die kleinen Rädchen,
    zu lange an einem Ort verharren.
    Sie haben Angst, wir würden Bindungen

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