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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Little
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eingehen.
    Etwas könnte unsere eisverkrusteten Herzen
    zum Schmelzen bringen.
    Aber meine Nächte gehören nicht der Inquisition
    und auch niemandem sonst.
    Auf keinen Fall sitze ich still in meinem Zimmer.
    So gewaltig die Burgen auch sind, die »wir« besetzen,
    irgendwie sind die Wände zwischen
    den Gängen und den Zimmern
    immer zu dünn.
    Deshalb gehe ich abends aus, um
    Schreien und Bitten zu entfliehen, die ich lieber nicht hören will.
    Ich sitze in Bodegas oder in dunklen, ruhigen Tavernen
    in der Umgebung von ruhigen Plätzen.
    Bei diesen Ausflügen trage ich meinen Umhang nicht.
    Ich will dazugehören.
    Ich hasse das Gesicht, das die Leute machen,
    sobald sie das aufgenähte Abzeichen sehen.
    Ein Schwert und ein Kreuz. Und einen Olivenzweig –
    der soll für Vergebung stehen.
    Das berüchtigte Zeichen der Inquisition.
    Die Leute ignorieren mich. Ich versuche,
    Briefe an Mama und Papa zu schreiben, aber meistens höre ich zu.
    Das Thema sind die Conversos – gibt es denn sonst nichts Neues?
    Dass dieser gesagt hat, jener habe das und das gegessen.
    Dass jener gesagt hat, dieser habe das und das gegessen.
    Dass María zur Hochzeit des Sohnes des Rabbiners gegangen ist,
    vor zehn Jahren. Oder waren es zwanzig?
    Egal. Sie wird trotzdem verurteilt.
    Ich sitze da und trinke Wein. Dieser Tage verdünne ich ihn nicht mehr
    mit Wasser – schließlich bin ich nicht stolz auf die Arbeit, die ich jetzt mache.
    Ich esse ein paar Happen – Oliven und Schinken.
    In letzter Zeit esse ich Schweinefleisch, ohne zweimal nachzudenken.
    Alles Essen schmeckt mir inzwischen
    wie Sägemehl.
      
    Arbeit
    Ja, ich bin ein Rädchen.
    Ohne Frage.
    Aber an meinem Pult habe ich Macht.
    Die hätte ich früher einmal
    brennend gern gehabt.
    Ich mag sie nicht mehr.
    Die Leute werden einzeln zu mir gebracht,
    als wäre ich der König statt
    der niedrigste Schreiber vor Ort.
    Nur wenige weinen.
    Aber die Wachen reißen an ihren Armen,
    als wäre es besser, sie wären ausgerenkt.
    Der Mann – oder die Frau – muss sich ausziehen, Stück
    für Stück. Ich schreibe auf, was sie ablegen.
    Ich schätze, ich habe schockiert ausgesehen, als am Anfang eines Tages
    ein Wächter einem Gefangenen einen Finger tief in den After steckte.
    »Manchmal finde ich Gold«, sagte der Wächter lüstern.
    »Diesen Juden kann man nicht trauen, oder, Señor?«
    Ich hielt mein Gesicht so leer wie eine brandneue Tafel.
    »Ich dachte, unser Offizium befasse sich nur mit Christen«, sagte ich,
    so kühl ich konnte.
    Aber der Wächter lachte nur. Schnitt eine Grimasse.
    »Ihr müsst nur mal riechen, mein junger Freund,
    um zu wissen, mit wem Ihr Euch hier befasst.«
      
    Pflanzen
    Erinnert ihr euch an die endlosen Pflanzen von Kastilien ?
    Ich bin dankbar für sie.
    Diesem gesegneten Autor – seinen Namen hab ich vergessen –
    lag so viel an der Anzahl
    von Flechten und Farnen in unserem Königreich,
    dass er mich zu einem Meister der Zahlen machte!
    Ich möchte gern glauben, dass man mir deshalb
    die langweiligste Aufgabe im Heiligen Offizium gegeben hat.
    Nicht nur, weil mein Blut unrein ist.
    Andere Schreiber reden, wenn es dunkel geworden ist.
    Tagsüber müssen sie Dinge anschauen, die ich zu überhören versuche.
    Ich bin allmählich dankbar dafür, dass Zahlen nicht lügen.
    Die Schreiber behaupten, wenn die Folter beginne,
    würden die Leute alles sagen, damit sie aufhört.
    Sie denunzieren ihre eigenen Mütter. Sich selbst.
    Ihre Kinder, die noch gar nicht geboren sind.
    Die Schreiber halten es fest, als sei es die Wahrheit.
    Und eben dazu wird das Gericht es dann erklären.
      
    Sprache
    Ich habe gehört, das Offizium könnte bald
    seinen Blick auf die Mauren lenken, die nach der Eroberung getauft wurden.
    Manche dieser neuchristlichen Moriscos
    sollen im Stillen noch immer zu Allah beten.
    Ich habe Angst. Meine rund zehn Wörter
    Arabisch sind mehr, als die meisten
    Schreiber hier können.
    Was ist, wenn sie mich für mehr wollen als nur Listen?
    Ich will kein Zeuge
    von irgendetwas davon sein.
    Ich bin auch nicht sicher,
    ob ich helfen könnte.
    Oft klingt das,
    was ich in jenen Räumen
    aus den Mündern höre,
    überhaupt nicht sehr
    nach einer Sprache.
      
    Scham
    Als ich mein erstes Autodafé sah,
    damals vor vielen Jahren,
    war ich schockiert. Und entsetzt.
    Niemand wird es bestreiten: Ein Mann oder eine Frau,
    die lebendig verbrannt werden, sind ein schrecklicher
    Anblick, der einem das Herz erstarren lässt.
    Aber im Grunde meiner

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