Der Schritt hinueber - Roman
noch einmal fertiggebracht, daß er abzieht. Aber die Flüchtlinge hat sie in der Nacht noch fortgehen heißen, und sie selber hat sich natürlich auch nicht mehr getraut, oben zu bleiben. Sie hat gesagt, der Kolja kommt wieder, und ich darf dann nicht mehr droben sein.
Einen Augenblick schwankte Axel, das alles klang so, daß man es glauben konnte. Aber dann stellte er sich die Szene wieder vor und sagte: Wieso, ich verstehe das nicht, hinaus ist sie zu ihm?
Fini rückte ihm einen Stuhl zurecht. Frau Jorhan konnte ihm dann ja alles genau erzählen. Aber Axel wollte nicht warten.
Nein, Fini, ich habe keine Zeit. Heute nicht. Ich habe noch einen Weg vor. – Ja, ich wollte mein Rad holen bei Ihnen!
Er sprach ganz ruhig. Die scharfblickende Fini wunderte sich trotzdem über seine Eile. Sie erinnerte ihn an den Brief, den sie ihm geschickt hatte und an den „bestimmten Tag“. Aber Mittwoch, da kommen Sie doch!
Ja, Mittwoch, sagte Axel, er zögerte ein wenig, ach ja, Mittwoch, da komme ich auf jeden Fall!
Er holte sich aus der Holzlage sein Fahrrad und fuhr dem Dorfe zu. Er sah von ferne die Villa, die der Kapitän bewohnte, vormals die Villa Susannas. Er sah kein Licht in ihr. Dort war niemand auf Besuch. Axel zitterte. Behielt er recht mit seiner Vermutung? Er fuhr weiter. Auch im Wirtshaus waren die Fenster dunkel. Er überlegte. Dann zweigte er ab auf den Feldweg, der ins Freie führte, sich über die Wiesen hinweg auf den Wald zuschlängelte und weiterging zum Bemelmanhof.
Um dieselbe Zeit bewegte sich von der entgegengesetzten Seite, aus der Richtung der großen Heerstraße, an der die Posten standen, ein Reiter auf den Bemelmanhof zu: Kolja auf seinem Schimmel. Er kannte den Weg, trotzdem erschien ihm manches neu an dem Abend. Er war zum erstenmal nicht betrunken. Zwar hatte er die Flasche bei sich in der Tasche, aber er rührte sie nicht an. Er ging zu Kosanna, leise Worte begleiteten ihn innen, seine Worte, ihre Worte, tagsüber schon waren sie bei ihm gewesen, manchmal hatte er mit sich selber geredet, nun flüsterte sie ihm der Nachthauch zu: Ja, Kolja, ich warte …
Um dieselbe Zeit ging Susanna unten im Dorf zu dem Haus der Fini zurück, und es war der Kapitän, der sie begleitete.
Sie hatte zuerst die Begleitung nicht annehmen wollen. Nein, ich fürchte mich nicht! Aber der Kapitän wußte am besten, was er von seinen Leuten, die im Dorf herumstreunten, zu halten hatte. Über Susannas Nein und seinem sorgenvollen Drängen war eine ziemliche Weile vergangen; der Mann mit den glitzernden Schulterstücken hatte an der Gartenpforte ihrer einstigen Villa auf sie eingeredet. Darum auch hatte Axel dort kein Licht mehr sehen können, kein Besuch war mehr drinnen, der Besuch stand vor der Tür am Zaun. Endlich hatte Susanna eingewilligt. Sie riskierte eine neue Nachrede: und der Kapitän hat sie nachhause gebracht! Aber es war ihr schon gleichgültig, und schließlich mußte sie diesmal dem Kapitän dankbar sein.
Es war ihr nicht leicht gefallen, ihn aufzusuchen. Freilich, diese alte Geschichte zwischen ihr und dem grauhaarigen Mann mit den breiten Goldfaser-Schulterstücken war für sie nicht so gewesen, wie Axel sie kannte. Sie dachte daran, und nun ging es ihr so durch den Kopf: wer überhaupt konnte hier von alten Geschichten sprechen oder von neuen, und wer kannte die einen und die anderen?
Das war ihr Gedanke den ganzen Tag schon gewesen, er spann sich ihr noch herüber von ihrer Begegnung mit Kolja und von dem Rest der Nacht dann auf dem Bemelmanhof; schlaflos hatte sie dort auf ihrer Matratze gelegen und auf den Morgen gewartet und immer dasselbe gedacht:
Das ist nun meine letzte Nacht hier, in der Früh werde ich fort sein, und dieses Spiel, daß man aus einem Hause ausgesetzt wird, geht also weiter …
Sie erinnerte sich an Axel: er war ja davon überzeugt, daß es wieder aufhören, und daß dann das alte Leben wieder lebbar würde; oft hatte sie ihn so sprechen hören:
Wenn es auch schwierig sein wird, aber eines Tages werde ich mit meinen Sachen wieder in Ordnung kommen, und dann wird auch alles zu überblicken sein, und ich werde einfach neu anfangen!
Sie hatte darüber immer schon anders gedacht, sie hoffte nicht so sehr auf dieses „in Ordnung kommen“ und „neu anfangen“. Ja, selbst ob man jemals noch Überblick gewinnen würde, erschien ihr fraglich. Soviel ging ihr durcheinander an diesem Morgen ihres Aufbruchs: ihr Mann, Axel, das Kind, das sie erwartete, und nun noch diese
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