Der Schritt hinueber - Roman
er aus?
Die sehen alle gleich aus. Die Uniform …
Nein, sagte der Kapitän, es sind immer nur ein paar, die ich nicht fassen kann. Aber das muß aufhören. Wie sieht er aus? Ist er jung? alt?
Sie zögerte. Man kann es schwer sagen. Ein wenig jünger als Sie, nein, ich weiß es nicht!
Er sah sie an, und sie las in seinem Gesicht, jetzt wußte er, daß sie ihm auch hier etwas verbarg. Sie fürchtete diesen Mann, aber sie wollte ihn nicht preisgeben. Und daß es ein junger Mann war! Der Kapitän hatte auch das gehört. So sehr fürchtete sie sich also nicht vor ihrem Verfolger, daß sie dergleichen nicht noch abschätzte! Gleich mochte sie ihn belügen, täuschen, und gleich darauf wieder so aufrichtig sein, und seine Hilfe nehmen, es kam ihm vor, sie sei schamlos. Er stand auf: Sprechen Sie, Sie kennen den Namen, Sie wollen ihn nicht nennen! Warum nicht!
Susanna schwieg. Er wandte sich ab, dann blieb er vor ihr stehen und sagte mit leiser Stimme: Was soll ich glauben?
Sie sah ihn furchtsam an. Sie durfte ihm ja nichts erzählen von Kolja, Bemelmans wegen. Sie wußte keinen Ausweg. Ach, Gott, rief sie zornig, daß ich weg muß, – das sollen Sie mir glauben. Und wenn Sie mir das nicht glauben, Sie bilden sich ja ein, Sie wissen alles von mir. Ich will Ihnen etwas sagen, Sie wissen tatsächlich ein bißchen mehr von mir als die anderen, die wissen alle nur, daß Sie mich ausgewiesen haben. Ja, alle, und mehr weiß auch Herr von Wilnow nicht. Der würde sich ja sonst wundern, daß ich noch einmal zu Ihnen gehe. Aber ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Sie haben mir nicht wehgetan damals, jetzt tun Sie mir weh. Aber jetzt will ich bei der Fini wieder wohnen!
Schade, warum nicht hier? sagte er.
Er stand nahe vor ihr, streckte die Hand aus. Aber es klang wie Erinnerung, und sie sah es ihm an: auch er wußte, die alte Geschichte würde nicht wiederkommen. Er war ein anderer als damals, genau so wie auch sie jetzt eine andere war in diesem Gespräch über Kolja und Axel. Ach, alle diese Dinge hatten mit ihnen beiden, so wie sie damals gewesen waren, nichts zu tun. Damals war etwas geheimnisvoll unter Tränen geschehen, nur für sie beide Lüftung der Geheimnisse, – unbekannt würde es allen bleiben, und es würde nicht wieder geschehen. Sie dachte: ein Ereignis, anders als Erfahrung, und wenn sie davon sprechen wollten, mußten sie es herunterdrehen auf eine gewöhnliche Geschichte: Kapitän und Frau Jorhan.
Plötzlich verstand sie ihn: wenn er sagte, warum nicht hier, so tat er das, er machte eine Geschichte. Ihr kam vor, jetzt wäre sie ganz nahe an der Wahrheit. Immer geschah etwas anderes, als was man erzählen konnte und was dann zu einer Geschichte wurde; es war nicht zu erkennen, was geschah. Nur das, was als Geschichte geschah, war zu erkennen. Einstweilen mußte man sich mit dem Gewöhnlichen abfinden, daran mußte man sich halten, mußte mitspielen, sonst ging das Ganze nicht weiter.
Sie strich ihm über das kurze graue Haar, und auch das war nun Erinnerung. Sie hörte ihn sagen: Nein, Sie brauchen sich nicht zu fürchten, – aber warum nicht hier?
Sie dachte: das brauche ich nicht ernst zu nehmen, er sagt das nur, damit wir reden können und wissen, daß wir da sind, hier am Ort, im Haus!
Sie sagte: Nein, da ist nichts zu machen, ich kann ja bei der Fini wohnen!
Langsam ging sie zur Tür. Er sagte nichts. Erst als sie zumachen wollte, besann er sich und ging ihr nach. Und dann standen sie an der Gartenpforte, und er sprach nur noch davon, daß er sie heimbringen wolle. Sie wollte es eigentlich nicht, ließ es sich dann aber gefallen.
Der Mond war im Abnehmen und kam später herauf, die Nacht war noch dunkel, Susanna mußte sich vortasten bis zur Tür der Fini. Die hatte eine Männerstimme gehört und fragte: Ist Herr von Wilnow draußen?
Susanna sagte: Nein, wieso, das war der Kapitän.
Ich dachte nur, sagte Fini. Er ist vorhin nämlich vorbeigekommen und hat sich das Rad geholt. Er hätte noch einen Weg.
Susanna dachte, was für einen Weg, er wird wieder bei seinem Gut herumschleichen, ach, er wird doch nicht heute noch kommen wollen, ich bin auch zu müde!
Sie ging zu Bett, holte ihren Sohn zu sich heran und war einen Augenblick lang froh, daß nun alles überstanden war. Aber dann mußte sie an Kolja denken, wie der es überstehen würde an diesem Abend, wenn er sie nicht vorfand, und bei diesem Gedanken konnte sie trotz ihrer Müdigkeit nicht einschlafen, sie lag noch wach, als draußen
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