Der Schritt hinueber - Roman
Sie uns nicht fragen, Herr Kolja, das müssen Sie selber wissen! Was hat sie denn gesagt zu Ihnen gestern nacht, da war sie doch bei Ihnen draußen!
Diesen Satz verstand Axel als erstes ganz genau. Er hatte sein Rad unter einen Heuhaufen gelegt und war bis an die Holzhütte herangeschlichen, dort duckte er sich neben der Hexe. Sie war doch bei Ihnen draußen! hörte er und sah, wie Bemelman den fremden Mann durch die Tür schob und ihm Gute Nacht wünschte und zusperrte, und dann mußte er wahrnehmen, wie der Fremde, Uniform und darüber ein weißes Gesicht, allein stand und den Kopf drehte und in den Knien zitterte und plötzlich wie von Sinnen: Kosanna! schrie und sich dann auf die Bank neben der Haustür setzte und zu trinken begann.
Es war ein sonderbarer Anblick für Axel. Er konnte von Koljas Gesicht nicht viel erkennen, gern wäre er näher gekommen, aber das wagte er nicht, er hatte Mühe, die Hexe zurückzuhalten. Er sah also nur einen Mann mit Schatten und weißen Flecken im Gesicht und glänzenden, seltsam weißen Augen, und der Mann saß auf der Bank, als warte er auf jemand und vertreibe sich die Zeit mit Trinken; er hatte die Flasche in seiner Tasche stecken, nach den ersten paar Schlucken zwängte er sie auch jedesmal da wieder hinein, aber dann stellte er sie einfach neben sich auf die Bank und schließlich ließ er sie gar nicht mehr aus der Hand, und als er so weit war, begann er auch zu sprechen:
Kosanna, sagte er leise und mit der bettelnden Stimme eines Betrunkenen, du bist nicht hier, – und er stand auf und wandte sich gegen das dunkle Fenster, als ob er dort mit jemand rede. Kosanna, du hast es mir versprochen, daß du hier sein wirst! Und plötzlich stieß er die Scheibe ein.
Die Hexe fuhr auf, als das Glas klirrte, und oben am Fenster der Schlafkammer erschien Bemelman, zog sich aber gleich wieder zurück. Auch die Hexe lag wieder still an Axels Seite.
Aber Kolja kam nicht zur Ruhe. Er war nun wieder der alte Kolja mit der Flasche, fremd und wild, nur stumm war er nicht wie früher, sondern laut und ungezähmt, obwohl er nicht eigentlich tobte. Er sagte nur immer dasselbe mit anklagender und verzweifelter Stimme, und wandte sich nun nicht mehr gegen das Fenster, sondern schrie seine Worte, für die es doch kaum Sprache gab, in die Luft, als wolle er Zeugenschaft herabrufen für diesen Treubruch.
Kosanna, du hast mich betrogen, du hast nicht gehalten, was du versprochen hast, Kosanna, du hast vergessen, was du gesagt hast, Kosanna, alle deine Worte hast du vergessen …
Er trank nochmals. Dann stand er auf, bewegte sich wieder, er gab die Darstellung einer Szene: Ach, er kam von so weit her, und in der Unendlichkeit, aus der er kam, begegnete man niemals einander. Aber hier war Begegnung, hier war sie wieder verschwunden, hier mußte er seine Szene spielen! Er trat auf den Türstein und sagte:
Kosanna, hier hast du gesprochen zu mir, ich komme wieder, ich komme genau so wieder, – und als ob er nun alles nachmachen müsse, taumelte er vor auf den Weg und sagte: Und hier bist du gegangen, Kosanna, bist herausgegangen zu mir, hier ist dein Fuß gegangen, und ich habe dich kommen sehen. Ich habe gewußt, Kosanna hat versprochen, ich komme, und nun kommt sie! – Er ging langsam an der Holzhütte vorbei, so daß sich Axel mit der Hexe an die hintere Wand drücken mußte, und von dort konnte er es nun sehen, wie Kolja gegen den Nußbaum taumelte und sich auffing und dann doch in das feine Waldgras glitt, das rings um den Baum, weil dort niemals gemäht wurde, den Boden wie Haar bedeckte, und er konnte die Stimme hören:
Kosanna, hier warst du,
und hier war ich, Kolja,
und du, Kosanna, hast mir versprochen:
Kolja, morgen komme ich wieder …
Es klang wie ein Lied, ein trauriges Lied, eine wehmütige Strophe, aber es klang so nicht in Axels Ohren, und lag es nun an ihm, der einen Augenblick auf sich selbst nicht achtgab und noch weniger auf die Hexe, oder lag es an Kolja, der sich plötzlich emporstreckte zu einem Schrei: Kosanna! – die Hexe rannte los um die Holzwand und raste auf ihn zu und sprang ihn an, und Kolja, als er den Schatten sah, zog die Pistole und schoß, und er schoß auch noch hinter Axel her. Der war in der Erregung vorgesprungen, er sah den Mann mit der Pistole und die Hexe, die am Boden zuckte, und droben am Fenster Bemelmans bleiches Gesicht. Aber dann sah er nichts mehr, weil er in die Finsternis zurücktauchte.
Die Brennesseln glühten ihm im Gesicht, das
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