Der schüchterne Junggeselle
wenn er der letzte Mann auf der Welt wäre.«
»Kindchen«, sagte Sigsbee H. in leisem, bittendem Ton, »ich glaube, ich würde an deiner Stelle das Kollier nicht verkaufen.«
»Natürlich werde ich es verkaufen. Wir werden das Geld brauchen, wenn wir verheiratet sind.«
»Du wirst nicht verheiratet sein«, sagte Mrs. Waddington, die wieder zu sich kam. »Ich hätte gedacht, daß jedes vernünftige Mädchen für diesen miserablen Finch nur Verachtung haben könnte. Der Mensch scheint ja so feig zu sein, daß er sich nicht einmal traut herzukommen und mir selbst alles zu sagen. Er hat es dir überlassen …«
»George war nicht imstande herzukommen. Das arme Hühnchen ist von einem Schutzmann verhaftet worden.«
»Na!« rief Mrs. Waddington triumphierend. »Und einen solchen Menschen willst du heiraten! Einen Gefängnisbruder!«
»Meiner Ansicht nach beweist das nur, was für ein lieber Kerl er ist. Er war über die Verlobung so glücklich, daß er an der Ecke der Neunundfünfzigsten Straße und Fünften Avenue plötzlich stehenblieb und an alle, die vorüberkamen, Dollarnoten zu verteilen begann. In zwei Minuten standen die Menschen bis zur Madison Avenue, und der Verkehr war auf Meilen abgesperrt, und man mußte Polizeireserven holen, und er wurde in einem Patrouillenwagen abtransportiert, und ich telefonierte Hamilton Beamish, damit er Bürgschaft für ihn leistet und ihn herbringt. Sie müssen jeden Augenblick kommen.«
»Mr. Hamilton Beamish und Mr. George Finch«, meldete Ferris in der Tür.
»Da sind wir«, sagte Hamilton Beamish herzlich. »Gerade noch rechtzeitig, sehe ich, um an einer netten Familienaussprache teilzunehmen.«
Mrs. Waddington warf George, der sich hinter einem Klapptisch zu verstecken suchte, einen vernichtenden Blick zu. Denn George Finch sah nicht gerade zum Besten aus. Nichts bringt das Äußere eines Mannes so in Unordnung wie die Vorgänge bei einer Verhaftung und einem Transport ins Polizeigefängnis. Georges Kragen hing lose am Hemdknopf; an seiner Weste fehlten drei Knöpfe; und sein rechtes Auge spielte in den seltsamsten Farben.
»Von einer Aussprache kann gar keine Rede sein«, sagte Mrs. Waddington. »Sie werden doch nicht glauben, daß ich meiner Tochter erlaube, einen solchen Menschen zu heiraten.«
»Na, na!« sagte Hamilton Beamish. »George sieht zwar jetzt nicht gerade besonders gut aus, aber ein bißchen Waschen und Abbürsten wird Wunder tun … Was haben Sie gegen George einzuwenden?«
Mrs. Waddington wußte im Augenblick nicht, was sie antworten sollte. Jedermann, der plötzlich gefragt wird, was er gegen Nacktschnecken, Schlangen oder Kakerlaken hat, dürfte es schwierig finden, im Handumdrehen sein Vorurteil zu analysieren und zu definieren. Für Mrs. Waddington war ihre Antipathie gegen George Finch einer jener tiefen, natürlichen Grundtriebe, die jeder vernünftige Mensch als gegeben hinnimmt. Doch sie sah, daß man von ihr eine Erklärung erwartete, und spannte ihren Geist an.
»Er ist Künstler.«
»Das war Michelangelo auch.«
»Der wurde mir nie vorgestellt.«
»Er war ein sehr großer Mann.«
»Es ist mir völlig unverständlich, Mr. Beamish, warum Sie, während wir über diesen jungen Mann mit dem blauen Auge und dem schmutzigen Kragen sprechen, das Gespräch durchaus auf einen ganz fremden Menschen wie diesen Mr. Angelo bringen wollen.«
»Ich wollte lediglich zeigen«, sagte Hamilton Beamish steif, »daß ein Mann nicht, lediglich weil er Künstler ist, verdammt werden darf. Außerdem malt George so miserabel, daß er kaum noch die Bezeichnung Künstler verdient.«
»Was?« rief George, zum erstenmal den Mund öffnend.
»Ich bin überzeugt davon, daß George einer der tüchtigsten lebenden Maler ist«, rief Molly.
»Das ist er nicht«, donnerte Hamilton Beamish. »Er ist ein unfähiger Dilettant.«
»Bravo!« sagte Mrs. Waddington. »Und infolgedessen kann er nie erwarten, Geld zu verdienen.«
Hamilton Beamishs Augen leuchteten hinter der Brille auf. »Ist das Ihr Haupteinwand?« fragte er.. »Was soll mein Haupteinwand sein?«
»Daß George kein Geld hat.«
»Aber …«, begann George.
»Halt den Mund!« sagte Hamilton Beamish. »Mrs. Waddington, ich frage Sie, ob Sie dieser Heirat Ihre Zustimmung geben würden, wenn mein Freund George Finch wohlhabend wäre?«
»Es wäre Zeitverschwendung, solche Fragen …«
»Würden Sie Ihre Zustimmung geben?«
»Wahrscheinlich.«
»Dann gestatten Sie mir, Sie darüber
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