Der schüchterne Junggeselle
war zweifellos derselben Meinung – zu ihrem Schaden.«
»Aber das kann ein Mißverständnis sein. Es gibt viele Männer, die brünett sind und ein Einglas tragen. Wie sah der Mann aus?«
»Wie sieht Lord Hunstanton aus?«
»Er ist groß und gut gewachsen, hat helle blaue Augen und einen kleinen Schnurrbart, den er zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand zwirbelt.«
»Er war es!«
»Was soll ich tun?«
»Ja, es wäre offenbar ein Verbrechen, Miss Waddington mit diesem Mann zusammenzubringen.«
»Aber er kommt heute abend zum Dinner.«
Madame Eulalie, deren Temperament manchmal mit ihr durchbrannte, wollte schon sagen: »Vergiften Sie ihm die Suppe« ; aber sie unterdrückte diese Bemerkung noch rechtzeitig und begnügte sich mit einem Achselzucken.
»Ich muß es Ihnen überlassen, Mrs. Waddington«, sagte sie, »sich für die Handlungsweise zu entschließen, die Sie für die beste halten. Ich kann nicht raten. Ich warne nur. Wenn Sie eine größere Note wechseln wollen, ich glaube, ich habe Kleingeld«, fügte sie hinzu.
Während des ganzen Heimwegs dachte Mrs. Waddington angestrengt nach. Und da sie nicht ein Mensch war, dessen Gehirn an viel Arbeit gewöhnt ist, war ihr, als sie zu Hause anlangte, zumute, als hätte man ihr mit einem Sandsack einen Schlag auf den Kopf versetzt. Vor allem sehnte sie sich nach völliger Einsamkeit; es war also kein Wunder, daß sie ihren Gatten Sigsbee Horatio scheelen Auges betrachtete, als er bald nach ihrer Ankunft in das Zimmer tapste, in dem sie sich niedergelassen hatte.
»Na, Sigsbee?« fragte Mrs. Waddington verdrossen. »Willst du etwas?«
»Hm, ja und nein.«
Mrs. Waddington sah zu ihrer Verzweiflung, daß ihr schwerer Eheirrtum auf dem Parkett umherglitschte, als ob er neue Tanzschritte einüben wollte.
»Steh doch still!« schrie sie.
»Ich kann nicht«, antwortete Sigsbee H. »Ich bin zu nervös.«
Mrs. Waddington drückte die Hand gegen ihre pochende Schläfe. »Dann setz dich!«
»Ich will es versuchen«, sagte Sigsbee zweifelnd. Er probierte einen Stuhl und sprang sofort wieder auf, als wäre der Sitz elektrisch geladen. »Ich kann nicht. Ich bin in einer fürchterlichen Aufregung.«
»Was soll denn das heißen?«
»Ich habe dir etwas zu sagen und weiß nicht, wie ich anfangen soll.«
»Was möchtest du mir sagen?«
»Ich möchte es dir überhaupt nicht sagen«, gestand Sigsbee freimütig. »Aber ich habe Molly versprochen, es zu tun. Sie ist vor einem Augenblick gekommen.«
»Komm gefälligst zur Sache, Sigsbee!«
»Ich habe ihr versprochen, es dir schonend beizubringen.«
»Was sollst du mir schonend beibringen? Du machst mich verrückt.«
»Erinnerst du dich«, fragte Sigsbee, »an einen prächtigen jungen Westländer, namens Pinch, der vorgestern abend zum Dinner kam? Ein großartiger, forscher …«
»Ich werde den Menschen, von dem du sprichst, nicht so leicht vergessen. Ich habe ausdrücklich angeordnet, daß er nie wieder ins Haus gelassen werden darf.«
»Also, dieser prachtvolle junge Pinch …«
»Mich interessiert dieser Mr. Finch gar nicht – so heißt er nämlich in Wirklichkeit.«
»Ich dachte Pinch.«
»Finch! Übrigens, was geht uns sein Name überhaupt an?«
»Ja«, sagte Sigsbee, »er geht uns insoweit etwas an, als Molly ihn zu ihrem Namen zu machen wünscht. Ich will nämlich sagen, wenn du verstehst, was ich meine, daß Molly vor einem Augenblick gekommen ist und mir erzählt hat, sie und dieser junge Finch hätten sich eben miteinander verlobt!«
2
Als Sigsbee H. diese Worte ausgesprochen hatte, starrte er seine Frau mit dem gelähmten Entsetzen eines Menschen an, der ein Loch in einen Damm gebohrt hat und das Wasser unaufhaltsam heraussickern sieht. Er hatte die ganze Zeit die Vorstellung gehabt, daß diese Nachricht eine heftige Wirkung auf sie ausüben würde, und seine Vermutung wurde bestätigt. Eine Frau wie Mrs. Waddington konnte durch nichts dazu gebracht werden, im ursprünglichen Sinn des Wortes »vom Sessel aufzuspringen« ; aber sie hatte begonnen sich langsam zu erheben, wie ein halb mit Gas gefüllter Ballon.
»Was hast du gesagt?«
»Du hast es ja gehört«, erwiderte Sigsbee H. trotzig.
Mrs. Waddington leckte sich die Lippen.
»Habe ich dich recht verstanden: Molly hat sich mit diesem Finch verlobt?«
»Ja. Und es hat gar keinen Sinn zu sagen, daß es meine Schuld ist, ich hatte gar nichts damit zu tun.«
»Du hast diesen Menschen ins Haus gebracht.«
»Ja, allerdings.«
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