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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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Tragödie, die Sie und Ihre Familie getroffen hat. Ich möchte Ihnen nur ein paar kurze Fragen stellen. Lassen Sie sich bitte Zeit.«
    Madeline ließ ein kurzes ersticktes Husten hören und nickte.
    »War Ihr Sohn schon jemals zuvor für längere Zeit ver schwunden?«
    »Nein.«
    »Sie sagten, es gab eine Zeit, da spielte er regelmäßig mit Sebastian. Verließen die Jungs bei einer dieser Gelegenheiten schon einmal ihre angestammte Spielgegend oder wurden für einige Zeit vermisst?«
    Mrs. Stokes hustete und schien einige Schwierigkeiten zu haben, sich wieder zu fassen.
    »Mrs. Stokes?«
    »Nein.«
    »Aber sind Sie nicht erst, als Sie hörten, das Kind Ihrer Nachbarn sei verhaftet worden, auf den Verdacht gekommen, Sebastian könnte etwas mit dem Verschwinden Ihres Sohnes zu tun haben?«
    Madeline blickte in die Ecken des Gerichtssaals hinauf. Sie wirkte erhaben, herausgehoben vor der dunklen Leere des Saals, allein im Zeugenstand. Tränen strömten ihr still über die Wangen.
    »Ich habe nicht an ihn gedacht«, sagte sie leise.
    »Sie haben ausgesagt, dass Sie Ben untersagen mussten, sich mit Sebastian zu treffen. Stimmt es denn, dass Ben Spaß daran hatte, mit Sebastian zu spielen?«
    »Nein, er war ein Rowdy, er war …« Mrs. Stokes’ Finger krampften sich um den Rand des Zeugenstands.
    »Sie mochten Sebastian nicht, Mrs. Stokes, so viel ist offensichtlich, aber hat Ihr Sohn nicht darum gebeten , mit ihm spielen zu dürfen? Sie haben von ihm gesagt, er sei von Sebastian fasziniert gewesen. War es nicht so, dass trotz Ihrer Ablehnung Ben und Sebastian in Wirklichkeit Freunde waren, die gern beieinander waren?«
    Mrs. Stokes putzte sich die Nase und atmete hastig. Der Richter fragte, ob sie ein Glas Wasser haben wolle. Sie schüttelte den Kopf und schaute hoch zu Irene.
    »Es tut mir leid, Mrs. Stokes«, sagte Irene, »ich weiß, das ist sehr schwer. Aber war es nicht so?«
    Madeline seufzte und nickte.
    »Mrs. Stokes, darf ich Sie bitten, Ihre Antworten laut zu geben?«
    »Mag sein, dass sie Freunde waren.«
    Irene sah zu Daniel hinüber und setzte sich. Er wusste, sie hätte weiterbohren können, aber die Geschworenen bebten vor Mitgefühl für die Mutter des kleinen Jungen. Auch dies achtete er an Irene; sie konnte einen Zeugen in Verwirrung bringen, wenn es nötig war, aber sie blieb immer freundlich.
    Die Pausen wurden pünktlich eingehalten aufgrund von Regeln, die seit dem Bulger-Prozess in Kraft waren. Sobald das Gericht sich vertagte, verschwand Daniel auf der Herrentoilette. Er fühlte sich benommen und müde. Seine Absätze hallten von den Marmorböden wider. Die Toilette mit ihren blauen Wänden und goldenen Hähnen war ihm vertraut, aber sie roch penetrant nach Urin und vergeblich angewandten WC -Reinigungsmitteln.
    In der hintersten Ecke war ein Urinal frei. Daniel atmete aus, als er sich in dessen weißes Porzellan erleichterte.
    »Alles okay, Danny?«
    Es war Kriminalkommissar McCrum. Er stieß mit seiner Schulter leicht gegen Daniels, als er seinen Reißverschluss aufzog.
    »Manchmal fragt man sich ja …«, sagte McCrum, und sein nördlicher Akzent klang seltsam warm und angenehm in der kalten viktorianischen Toilette, »gibt es denn keinen anderen Weg? Ich sehe schon, dieser Prozess wird barbarisch. Es ist falsch, sie all dem auszusetzen.«
    »Ganz Ihrer Meinung«, sagte Daniel. Er schüttelte den restlichen Urin ab, zog den Reißverschluss zu und begann, sich die Hände zu waschen. Er wusste nicht, wie Sebastian mit den langen Tagen, die vor ihm lagen, zu Rande kommen würde, und das Schlimmste stand noch bevor. »Und wir sind erst am Anfang …«
    »Ich kenne … diese arme Frau«, sagte McCrum.
    Daniel wandte sich ab. Er ging ohne ein weiteres Wort hinaus und nickte McCrum im Vorbeigehen nur leicht zu. Der Ältere blickte ihm hinterher.

22
    Ein Jahr faltete sich in das nächste wie Furchen in einem Acker. Minnie ließ die hinteren Fenster reparieren, aus denen die Hühner allen Kitt herausgepickt hatten. Im Wind fielen einige Ziegel vom Dach, und es entstand ein Loch, aus dem es, wenn es regnete, langsam in einen Eimer an der Treppe tropfte. Sie hatte nicht das Geld, es reparieren zu lassen, und so blieb es über ein Jahr dabei. Es war Daniels Aufgabe, am Morgen den Eimer auszuleeren.
    Minnies Ziegenbock, Hector, starb in Daniels drittem Winter in Brampton, aber im Frühjahr darauf kaufte sie als Ersatz für ihn eine Ziege mit zwei Jungen. Daniel durfte die Ziege am Morgen melken: ihr Euter

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