Der Schuldige: Roman (German Edition)
eincremen und sie dann vorsichtig, behutsam melken. Minnie brachte ihm bei, wie. Sie bauten für die Ziegen einen neuen Verschlag und einen besonderen Melkbereich, in den die anderen Tiere nicht hineinkamen. Minnie sagte zu Daniel, dass der Melkbereich sehr sauber gehalten werden müsse. Am Abend trennten sie die Zickel von der Mutter, damit sich deren Euter füllen konnte. Die Ziege wurde Barbara getauft, und die beiden Zickel nannte Daniel Brock und Liam nach zwei Fußballspielern von Newcastle United, obwohl es beides Weibchen waren.
Am Abend, nach seinem Bad und den Hausaufgaben, spielte er mit Minnie Backgammon, während sie ihren Gin süffelte und er Schokoladeneclairs naschte. Sie bewunderte seine Fähigkeit zu zählen, ohne die Zahlen auf das Brett zu klopfen. Oder manchmal spielten sie Karten: Knockout-Whist oder Siebzehnundvier. Sie ließ Platten laufen, während sie spielten: Elvis und Ray Charles und Bobby Darin. Daniel schlenkerte die Schultern im Takt, während er seine Karten auf den Tisch blätterte, und sie blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und warf einen Kartoffelchip nach Blitz.
Daniel war dreizehn und ging das erste Jahr auf die William Howard Secondary School in der Longtown Road. Er war Kapitän der Fußballmannschaft und hatte im Langlauf zwei Goldmedaillen gewonnen, war aber immer noch kleiner und magerer als die anderen Jungen in seiner Klasse. Im nächsten Jahr würde er mit den Abschlussprüfungen beginnen. Er war gut in Englisch, Geschichte und Chemie. Ein Mädchen namens Carol-Ann, das ein Jahr älter als er war, kam manchmal nach der Schule zu ihm nach Hause. Sie war ein richtiger Wildfang, und er zeigte ihr, wie man einen Ball am Fuß balanciert und wie man für die Tiere sorgt. Minnie lud sie zum Tee ein, wenn ihre Mum noch spät arbeiten musste. Carol-Ann war nicht seine Freundin oder so etwas, obwohl er mal ihre Brüste gesehen hatte, als ihr im letzten Sommer beim Baden im Irving River der BH runtergerutscht war.
Daniel war in der Schule beliebt. Er hatte Freunde wegen des Fußballs und wurde kaum noch in Raufereien hineingezogen. Aber von Carol-Ann abgesehen kam niemand öfter zu der Farm. Danny wurde zu Geburtstagen eingeladen und ging zu allen Schulfeierlichkeiten. Mit einer Gruppe von Freunden, meist vom Fußball, hing er in der Schule herum, aber mit keinem spielte er regelmäßig nach dem Unterricht und bei keinem war er öfter zu Hause als ein paar Mal im Jahr. Wenn es weder ein Spiel noch eine Party gab, war er nach der Schule bei Minnie zu Hause, beschäftigte sich mit den Tieren, pflückte Kräuter fürs Abendessen, schrubbte Kartoffeln oder kickte im hinteren Hof für Blitz Blechdosen in die Gegend. Und dann gab es Abendbrot und Spiele und Gin und Musik. Jahrein, jahraus. Es war die Symmetrie der Tage, die dankbare Verwirklichung von Erwartungen, die Struktur von all dem. Sie ließ Daniel sich sicher fühlen.
Er lernte zu hoffen. Seine Wünsche mussten beschnitten werden, um sie den Grenzen von Minnies Haus anzupassen, so wie sie den Hühnern die Flügel kappte, damit sie nicht wegflogen, aber alles, was er sich in diesem Haus wünschen konnte, das gab ihm Minnie.
Es war Samstag, und Daniel wachte auf, bevor sein Wecker klingelte. Er streckte sich wie ein Seestern und spürte die Dehnung bis in die Fingerspitzen. Vor der dünnen Glasscheibe seines Fensters hörte er das Gackern und die aufgeregte Geschäftigkeit der Hühner sowie das verärgerte Meckern der Ziegen. Er lag im Bett, die Hände unter dem Kopf, und dachte nach, erinnerte sich.
Daniel wälzte sich herum und gähnte, dann griff er in die Nachttischschublade. Er nahm die Halskette seiner Mutter heraus und strich über das goldene »S«. Es fühlte sich glatter an, als er es in Erinnerung hatte, und er fragte sich, ob er es glatter gemacht hatte, auf die gleiche Weise, wie das Meer die scharfen Kanten von Glasscherben abschliff. Fast ein Jahr hatte die Kette, in ein Papiertaschentuch gewickelt, in der Schublade gelegen, ohne dass er sie angerührt hatte. Er hatte sie beinahe vergessen.
Er legte sich wieder hin und betrachtete die Kette. Die Erinnerungen, die ihm kamen, wenn er über sie strich, waren keine wirklichen Erinnerungen, sondern eher Fotos, die sein Inneres gemacht und dann mit Hoffnung getränkt hatte, sodass sie im Dunkeln aufgehängt werden konnten, tropfend von seinen eigenen Erwartungen. Eines der Fotos zeigte seine Mutter, die in Minnies Küche lachte, so heftig lachte, dass man
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