Der Schuldige: Roman (German Edition)
Richtung herumgerissen hätte. Das würde einen doch verrückt machen. Sie hat es geschafft, bei Verstand zu bleiben. Das hoffe ich doch …?«
»Absolut«, sagte Daniel und gestattete sich ein kleines Lächeln. »Bei mehr Verstand als die meisten.«
Er atmete aus: halb Seufzer und halb Lachen.
»Was machen Sie überhaupt, Danny? Von wo rufen Sie an?«
»Ich bin Anwalt, ich wohne auch in London. Im East End.«
»Tut mir leid um Ihren Verlust, mein Lieber.«
»Danke, dass Sie mit mir geredet haben. Ich wollte nur …«
»Nein, danke, dass Sie es mir mitgeteilt haben. Ich wäre zu der Beerdigung gekommen, wenn ich es gewusst hätte. Sie war eine gute Frau. Alles Gute …«
Daniel legte auf.
Eine gute Frau.
Er trank seinen Gin aus und dachte an den Teigmatsch an ihrem Kleid.
24
Minnie kniete auf der Erde und pflanzte im Vorgarten Blumen. Sie drückte die Stecklinge in den Boden und presste dann die Erde rund um sie fest. Sie setzte sich auf, als Carol-Ann und Daniel an ihr vorbeikamen, denen die Schultaschen von den Schultern baumelten und die Schulhemden aus den Hosen hingen.
»Alles in Ordnung, Min?« fragte Carol-Ann.
Minnie stand auf und ging auf sie zu, während sie die Erde von ihren Händen an ihrem Rock abwischte.
»Wie lief’s denn?«
»Ganz gut«, sagte Danny und warf seine Schultasche ins Gras. »Aber nächste Woche noch mal fünf.«
»Aber die heute liefen gut«, soufflierte Minnie und nahm Blitz am Genick, um ihn zu hindern, an Carol-Ann herumzuschnüffeln. »Du fühlst dich sicher …«
»Wer weiß«, sagte Daniel. Er war inzwischen größer als sie, aber auch wenn sie zu ihm aufblickte, während er sprach, fühlte er sich immer noch irgendwie kleiner. »Es lief okay. Wir werden’s ja früh genug erfahren.«
»Okay ist gut. Carol-Ann, bleibst du zum Tee, Schatz? Es ist Freitag, ich habe Fisch gekauft.«
»Ja«, sagte sie. »Das ist toll, so, Min.«
Die zwei ließen sich neben Minnie ins Gras fallen und schwatzten und hänselten sich gegenseitig, während sie damit fortfuhr, Pflanzen einzusetzen. Daniel hatte seine Schuluniform abgelegt und sich umgezogen. Carol-Ann kreischte, als Daniel sie kitzelte, und Minnie blickte lächelnd zu ihnen hinüber. Sie plumpsten rückwärts ins Gras. Carol-Ann rollte sich zur Seite und warf ein Bein über Daniel. Sie beugte sich über sein Gesicht und drückte seine beiden Handgelenke in den Rasen.
»Gefangen?«, fragte er.
»Genau«, sagte sie und versuchte, ihn zu kitzeln, während er die Arme fest an sich presste und ihre Hände wegschlug.
Ein weißer Schmetterling schwebte bezaubernd über Daniels Gesicht. Er beobachtete den schwindelerregenden Flug.
»Halt still«, rief Carol-Ann plötzlich. »Er sitzt auf deinem Haar. Ich fange ihn und dann schenke ich ihn dir.«
Daniel lag bewegungslos da und sah zu, wie Carol-Ann über seinen Kopf langte und ihre hohlen Hände um den Schmetterling legte.
»Halt!« Minnie stand über ihnen, und ihre Stimme wurde laut.
Daniel war verwirrt. Er stemmte sich auf seine Ellbogen hoch, und Carol-Ann, die noch immer rittlings über ihm saß und die Hände um den Schmetterling gewölbt hatte, drehte sich um.
»Lass ihn sofort frei«, sagte Minnie.
Carol-Ann öffnete augenblicklich ihre Hände. Sie rappelte sich hoch und legte Minnie eine Hand auf den Arm.
»Es tut mir leid, Min«, sagte sie. »Ich wollte dich nicht ärgern.«
»Es tut mir auch leid«, sagte Minnie und drehte sich weg, eine Hand an ihrer Stirn. »Es ist nur so, wenn man sie festhält, kann man den Puder von ihren Flügeln streifen. Dann können sie nicht mehr fliegen und müssen sterben.«
Carol-Ann rieb Semmelbrösel auf den Schellfisch, während Daniel die Kartoffeln in dicke Stifte schnitt, sie in das Drahtsieb warf und in die Fritteuse tauchte. Minnie fütterte die Tiere, und dann setzten sie sich an den Küchentisch, auf dem sie zwischen den alten Zeitungen und den Spaghettigläsern drei Plätze freigeräumt hatten. Daniel war gerade sechzehn geworden.
Carol-Ann blieb an zwei oder drei Abenden in der Woche zum Abendbrot da. Es war die Zeit der Abschlussprüfungen, und Minnie war seit Wochen im Stress: Sie fragte ihn, ob er nicht erst lernen sollte, bevor er raus Fußball spielen ginge, sie kaufte ihm einen neuen Schreibtisch für sein Zimmer und riet ihm, zur Entspannung lange zu baden und zeitig schlafen zu gehen.
»Dir ist es nicht bewusst, und es kommt einem nicht so vor«, sagte sie immer wieder zu ihm und nagte zwischen den
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