Der Schuldige: Roman (German Edition)
Ihre Knochen bohrten sich wieder in ihn hinein, und er fühlte den Schmerz, den sie ihm zufügten.
Daniel ließ seinen Kopf von einer Seite zur anderen schlingern, als Tricia ihn zurück zu Minnie fuhr. Er spürte die Vibration der Reifen auf der Straße. Tricia hatte das Radio ausgeschaltet und sprach ab und zu mit ihm, als hätte er um eine Erklärung gebeten.
»Also, du bleibst fürs Erste bei Minnie, aber wir bemühen uns darum, dass du adoptiert wirst. Es ist wirklich eine fantastische Möglichkeit. Keine dauernden Umzüge mehr – dein eigenes Zuhause, eine neue Mum und ein neuer Dad, vielleicht sogar Brüder oder Schwestern, stell dir das vor … Natürlich wirst du dich weiterhin gut benehmen müssen. Niemand möchte einen Jungen mit Verhaltensproblemen adoptieren, nicht wahr? Keine neue Mum und kein neuer Dad möchte getreten oder geschlagen werden … Wie deine Mum sagte: So ist es am besten. Ältere Jungen sind schwer unterzubringen, aber wenn du lieb bist, könnten wir Glück haben.«
Sie schwieg, als sie die Carlisle Road entlangfuhren, und Daniel machte die Augen zu. Er öffnete sie, als der Wagen rumpelnd zum Halten kam. Er sah Blitz mit wedelndem Schwanz und heraushängender Zunge näher kommen.
Daniel schluckte. »Wenn mich niemand haben will, kann ich dann hierbleiben?«
»Nein, Schatz … Minnie ist eine Pflegemutter. Andere kleine Jungen oder Mädchen müssen hier untergebracht werden. Aber mach dir keine Sorgen, ich suche dir ein wunderbares neues …«
Daniel hatte die Wagentür zugeschlagen, ehe er Tricia das Wort Zuhause aussprechen hörte.
11
Im Parklands House wurde Daniel durchsucht und gescannt. Ein Hund schnüffelte an seiner Kleidung und an der Aktentasche nach Drogen.
Ein Aufseher brachte ihm Kaffee und sagte, dass Sebastian gleich käme. Charlotte hatte angerufen, um Daniel mitzuteilen, dass sie ein bisschen zu spät dran sei, er solle aber ohne sie anfangen. Ihm war in dem kleinen Raum beklommen zumute. Er müsse die ganze Zeit verschlossen gehalten werden, war ihm mitgeteilt worden, es gebe aber einen Alarmknopf, falls er etwas benötige. Er hatte das Gefühl, trockenes Papier und Laub liege ihm im Magen und verschiebe sich langsam; das machte ihn nervös.
Sebastian wurde von einem Aufsichtsassistenten hereingeführt.
»Schön, dich wiederzusehen, Seb«, sagte Daniel. »Geht’s dir gut?«
»Nicht richtig. Ich finde es grauenhaft hier drin.«
»Möchtest du etwas zu trinken haben?«
»Ich brauche nichts, danke. Ich habe gerade Orangensaft getrunken. Können Sie mich hier rausholen? Ich hasse es. Es ist grauenhaft. Ich will nach Hause.«
»Haben deine Eltern dich oft besucht?«
»Meine Mum ist ein paar Mal hier gewesen, aber ich möchte nach Hause … Können Sie das klären? Ich möchte einfach nach Hause.«
Sebastians Kopf fiel plötzlich in die Beuge seines Ellenbogens. Den anderen Arm schlang er um sich.
Daniel erhob sich, beugte sich über Sebastian und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er streichelte und tätschelte ihn. »Na komm, ist doch alles in Ordnung. Ich bin doch auf deiner Seite, weißt du noch? Ich weiß, dass du nach Hause möchtest, aber wir müssen mit dem Gericht zusammenarbeiten. Im Moment kriege ich dich hier nicht raus. Der Richter will dich hierhaben, vor allem zu deinem Schutz.«
»Ich will nicht beschützt werden. Ich will nur nach Hause.«
Wieder lief ein Kribbeln über Daniels Rücken, und er spürte Verständnis für den Jungen. Es überkam ihn wie ein Brennnesselschmerz: Hitze und Jucken, die abrupt Erinnerungen aufkommen ließen. Er erinnerte sich, wie er das erste Mal bei Minnie angekommen war und die Sozialarbeiterin ihm sagte, dass er zu seinem eigenen Besten von seiner Mutter getrennt bleiben solle.
»Was ich tun kann, ist, zu erwirken, dass man dich nach Hause gehen lässt, wenn dein Prozess vorbei ist. Wie findest du das? Bist du bereit, mit mir daran zu arbeiten? Ich benötige deine Hilfe dabei. Allein kriege ich es nicht hin.«
Sebastian schniefte und wischte sich die Augen mit seinem Ärmel. Als er aufblickte, waren seine Wimpern nass und zusammengeklebt.
»Mum kommt zu spät«, sagte Sebastian. »Wahrscheinlich liegt sie im Bett. Mein Dad ist gestern weggeflogen. Es ist besser, wenn ich dort bin. Deshalb müssen Sie mich hier rausholen.«
»Was wird besser sein, wenn du dort bist?«, fragte Daniel. Obgleich er sicher war, dass er wusste, was Sebastian sagen wollte, fragte er sich, ob er in den Jungen nicht etwas
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