Der Schuß im Nachtklub
oberste Schublade des
Schreibtisches, fegte den ganzen Kram hinein und schob sie wieder zu.
»Fühlen Sie sich nur ganz wie
zu Hause, Lieutenant«, sagte Midnight. »Kann ich Ihnen vielleicht noch ein
Kissen bringen?«
»Das wäre nett«, gestand ich.
»Aber ich muß leider noch ein paar Sachen erledigen. Zum Beispiel noch ein paar
Fragen stellen und Antworten anhören. Wie wär’s, wenn ich gleich bei Ihnen
anfinge?«
»Aber dann bitte schnell, Lieutenant«,
antwortete sie. »Ich möchte das Aufräumen in die Hand nehmen, bevor alles nach
Hause verduftet.«
»Ich werde es schnell
abmachen«, antwortete ich. »Zunächst einmal das Wichtigste: Arbeiten Sie hier
jeden Abend der Woche?«
»Sonntag und Montag haben wir
geschlossen«, erwiderte sie.
»Großartig«, sagte ich erfreut.
»Was haben Sie nächsten Montagabend vor?«
DRITTES KAPITEL
D as Trio saß mir in einer Reihe
auf der anderen Seite des Schreibtisches gegenüber. Zum erstenmal betrachtete ich sie wie Individuen.
Der erste links war Clarence Nesbitt , der ohne seinen Kontrabaß ein wenig verloren aussah. Es war dick, fast an der Grenze der Fettleibigkeit,
und trug noch immer seinen braunen steifen Hut, den er aufhatte, wenn er
spielte.
In der Mitte saß Wesley
Stewart, der Saxophonspieler und der führende Mann des Trios. Er war groß und
mager, beinahe ausgemergelt, und hatte große, blaue, träumerisch blickende
Augen und eine Nase, die für sein übriges Gesicht
anderthalb Zentimeter zu lang war.
Der letzte war Cuba Carter; er
war klein und dunkel und sah aus, als hätte er Filipinoblut in sich. Er hatte einen schmalen schwarzen Schnurrbart und glänzendweiße Zähne,
die er ständig in einem wahrscheinlich aus Verlegenheit und Beunruhigung
resultierenden Lächeln zeigte.
Ich zündete mir eine Zigarette
an und sah ihn an. Cuba Carter scharrte nervös mit den Füßen auf dem Boden,
während Clarences Finger an unsichtbaren Saiten zupften und ich schon fast
erwartete, seinen Kontrabaß spielen zu hören, obwohl
ich ja wußte, daß das Instrument draußen an der Wand lehnte. Nur Wesley Stewart
saß regungslos da, seine Augen träumerisch in eine Ferne gerichtet, die
Millionen von Kilometern von Midnights Büro entfernt
lag.
Ich räusperte mich freundlich.
»Ihr Burschen müßt doch alles mit angesehen haben«, sagte ich zu ihnen. »Wie
wär’s, wenn Sie mal auspackten?«
Sie sahen einander lange an.
»Ich glaube, gesehen haben wir
gar nichts, Lieutenant«, erklärte dann Clarence mit einer hohen Stimme. »Wir
spielten gerade Rampart Street und
waren nicht in der Stimmung, um uns um irgendwas anderes zu kümmern. Erst hab’
ich nur ’nen Burschen schreien gehört, und ich denke, der schreit aus Begeisterung.
Aber dann hörte ich den Knall, und während ich versuche, mir das zu überlegen,
ohne aus dem Takt zu kommen, taucht dieser Knallkopf vor uns auf, und ich denke
noch, irgendso ein Idiot, der sich produzieren will,
und ich wollte ihm schon eins über den Schädel wischen, als er auch schon
abkippte, und da sah ich das Blut auf seinem Hemd, und Menschenskind, schon war
ich raus aus dem Takt!«
»Genauso war’s, Bluthund«,
sagte Cuba und nickte rasch mit dem Kopf, während er lächelnd seine Zähne
blitzen ließ. »Genauso war es. Wir hatten keine Ahnung von der Sache, bis der
Kerl plötzlich mausetot vor uns lag.«
Ich sah Wesley Stewart an. »Und
was wissen Sie?«
Langsam richtete er seine Augen
auf mich. »Wie bitte, Lieutenant?«
Seine Stimme klang ruhig und
angenehm.
»Ich habe Sie gefragt, ob Ihre
Beobachtungen sich mit denen Ihrer Kollegen decken?«
»Entschuldigen Sie, ich habe
nicht zugehört.« Er lächelte vage. »Ich habe mir da gerade was mit dem Weary Blues überlegt, wenn man da ein
Tenorsaxophon anstelle von...«
»Es tut mir leid, Ihre
musikalischen Arrangements unterbrechen zu müssen«, sagte ich. »Aber vor etwa
einer halben Stunde ist hier ein Mann umgebracht worden. Ich würde so gern Ihre
Eindrücke von dem Ereignis hören. Zum Beispiel: Haben Sie gesehen, wer geschossen
hat, und so weiter?«
»Natürlich, Lieutenant.« Wieder
zeigte er sein ruhiges Lächeln. »Es tut mir leid, aber gesehen habe ich gar
nichts — erst als er plötzlich vor uns auftauchte. Wenn ich spiele, bin ich völlig
davon ausgefüllt, vermute ich. Ich habe weder einen Schuß noch einen Schrei
gehört, obwohl mir Clarence hinterher davon erzählt hat. Ich habe nur den
Burschen vor uns gesehen und dann, wie er
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