Der schwarze Atem Gottes
endlich!«, rief Renata vom Wagen aus. Die mageren Zugpferde wieherten.
»Wollt ihr mich etwa allein hier zurücklassen?«, fragte Maria entsetzt. »Ich kenne doch den Weg zu dieser Hütte gar nicht.«
»Wir wissen selbst nicht so genau, wo sie liegt«, sagte Teuffel kleinlaut. »Aber wenn du dich in diese Richtung hältst …« Er zeigte auf die seidige Dunkelheit hinter der Burg, in der rötlicher Schein Leben verriet.
»Mit dem Wagen wären wir viel schneller da«, bettelte Maria. Sie hatte grässliche Angst davor, allein durch die Finsternis stolpern zu müssen. »Bitte, bitte, nur bis dorthin.«
Teuffel sah zurück zu seinem Wagen und dann wieder auf Maria. Es war deutlich zu sehen, wie er nachdachte. Schließlich sagte er: »Einverstanden. Komm.«
Es war nicht leicht, diese Entscheidung den Schauspielern verständlich zu machen. »Wir riskieren unser Leben«, meinte Klaus Beyer, nachdem sich der Wagen wieder in Bewegung gesetzt hatte. Er schaute mit zusammengekniffenen Augen auf den holperigen Weg. »Wenn der Graf uns findet, wird er uns schrecklich bestrafen.«
»Warum sollen wir das wenige, das wir haben, wegwerfen?«, sagte Walpurg. »Nur für die da – weil sie ihren Liebhaber zurückhaben will.«
Angesichts dieser Ungerechtigkeit kamen Maria die Tränen. Sie wollte sie zurückhalten, aber es war zu spät. Sie rannen ihr über die Wangen wie Regen über eine Häuserwand.
»Es war nicht so gemeint«, sagte Adam Desch und legte den Arm um sie. »Natürlich bringen wir dich zu dieser Hütte, nicht wahr?« Er warf auffordernde Blicke auf seine Mitspielerinnen. Sie senkten den Blick zum Plankenboden. Dann wandte er sich wieder an Maria. »Du musst uns verstehen. Wir gehen mit dieser Fahrt ein großes Risiko ein. Auch mir wäre es lieber, wenn wir uns mit jeder Elle weiter von der Burg entfernen würden. Stattdessen umfahren wir sie nun in einem großen Bogen und nähern uns ihr dann wieder. Das gefällt keinem von uns.«
Maria gelang es endlich, ihre Tränen unter Kontrolle zu bringen.
Schweigend zog sie die Plane ein Stück zur Seite und schaute aus dem Heck des schwankenden und schlingernden Wagens.
Die Tannen schienen den samtenen Himmel zu stürmen, zu durchbohren, aufzuspießen. Das helle Band des nun wieder ansteigenden Weges wurde rasch von der Finsternis geschluckt; es war, als krieche eine gewaltige Schlange hinter dem Wagen her und fresse die Straße und die Welt. Nervös hielt Maria nach Anzeichen einer Verfolgung Ausschau. Sie entdeckte aber keine.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Klaus Beyer und schielte Teuffel an. »Wenn sie wirklich schon hinter uns her wären, müssten wir zumindest ihre Pechfackeln sehen.«
»Vielleicht haben sie die Flucht des Paters noch nicht bemerkt«, erwiderte der Leiter.
»Das alles gefällt mir nicht«, brummte Adam Desch und warf Maria einen seltsamen Blick zu. Anklage stand darin – Anklage und gleichzeitig Verlangen und Mitleid. Sie schaute weg.
Der Weg wurde weicher; Tannennadeln bedeckten den Boden. Der Wald wurde weiter; die Bäume standen hier in so großer Entfernung voneinander, dass überall der sternlose Himmel als samtenes Tuch durch die Kronen hindurchschimmerte. An der linken Seite stachen die Zinnen der Burg durch den Wald.
Sehr vorsichtig lenkte Barthel Greusen den Wagen an den träumenden Bäumen vorbei. Zum Glück gab es hier kein Unterholz; ansonsten wäre eine solche nächtliche Fahrt schier unmöglich gewesen. Nach einer scheinbaren Endlosigkeit wich der Wald zurück und machte einer großen Lichtung Platz, deren entgegengesetztes Ende mehr erahnbar als sichtbar war. Tiefschwarz in Schwarz standen dort die Bäume wie Soldaten einer fremden Macht. Und nahebei drängte sich eine Hütte an zwei Stämme, die sich hoch oben in der Unendlichkeit des samtenen Himmels zu verlieren schienen – oder vielleicht waren sie in umgekehrter Richtung aus dem Himmel in die Welt hineingewachsen.
Der Wagen hielt neben der Hütte, und Maria sprang herunter und rannte auf die Tür zu. Sie war unverschlossen.
Das Innere der Hütte war leer. Niemand war hier. »Martin?«, flüsterte sie. Keine Antwort. Sie trat wieder nach draußen.
Die Schauspieler hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, abzusteigen. »Sind sie da?«, rief Teuffel vom Kutschbock herunter; er hatte sich neben Barthel gesetzt.
Maria schüttelte den Kopf. Sie kam sich unendlich verlassen
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