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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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ein Mönch, aber seid Ihr das wirklich? Ihr seid ein Mensch, aber seid Ihr das wirklich? Ihr wisst genau, was Ihr wollt, aber wisst Ihr das wirklich?«
     
    Hilarius durchfuhr es bei diesen Worten eiskalt. »Du kennst mich nicht«, sagte er. »Du hast kein Recht, über mich zu reden.«
     
    »Ich bitte Euch um Vergebung«, sagte Federlin gleichmütig. »Aber wenn Ihr ehrlich zu Euch selbst seid, müsst Ihr zugeben, dass ich die Wahrheit spreche. Ihr ahnt Schreckliches, aber Ihr wisst nicht, auf welche Weise es sich erfüllen wird und welche Rolle Ihr dabei spielen werdet. Ihr wisst, dass Ihr ein Auserwählter seid, aber Ihr wisst nicht, wozu Ihr auserwählt wurdet. Hat Graf Albert recht? Werdet Ihr der Vater des Messias sein? Oder werdet Ihr zum Vater des Weltuntergangs?«
     
    »Woher weißt du das alles?«, fragte Hilarius leise.
     
    Federlin gab keine Antwort. »Noch ist nur wenig entschieden«, sagte er. »Aber es ist entschieden, dass nichts das ist, wonach es aussieht. Es gibt in dieser Welt keinen festen Punkt, von dem aus man alles andere bewerten könnte. Wenn man den Blickwinkel ändert, ändert sich zugleich das, worauf man blickt.«
     
    »Aber das würde ja bedeuten, dass man über nichts und niemanden ein Urteil abgeben könnte!«, meinte Hilarius aufgebracht. Nun hatte die klamme Kälte ihn verlassen, und eine Höllenhitze brauste durch seine Adern. »Dann wäre es ja überhaupt nicht möglich, irgendetwas als richtig zu erkennen. Aber die tägliche Erfahrung lehrt uns, dass das durchaus möglich ist. Es gibt ein Richtig und ein Falsch genauso gewiss, wie es einen Gott im Himmel gibt. Also lügst du.« Er schaute in den Nebel. Vage Umrisse von hohen Bäumen konnten auch wartende Riesen sein oder die Säulen eines himmlischen Palastes.
     
    »Oder die tägliche Erfahrung lügt«, gab Federlin zurück. »Jetzt sollten wir aber weiterreiten.« Er stand auf, rieb sich den Hosenboden und setzte sich wieder in den Sattel. Hilarius dachte nicht einmal mehr daran zu fliehen. Es schien alles so sinnlos geworden zu sein. Wie konnte dieser Gaukler nur von der besonderen Lage des Paters wissen? Oder war es bloß ein Stochern im Nebel gewesen? Wusste er gar nichts von dem zweiten Kopf des Mönchs? Dienten seine Reden nur dazu, Hilarius zu verwirren? Sie ritten in tiefem Schweigen weiter.
     
      
    Am Abend hatten sie erneut das Glück, unter dem Dach einer Scheune übernachten zu dürfen. Das Gehöft klebte allein und fernab von anderen menschlichen Ansiedlungen eng an der Flanke eines steilen, nur mit Krüppelkiefern bewachsenen Berghangs. Hilarius hörte, wie Federlin mit dem Bauer verhandelte. Der Bauer blickte mehrfach zu der Stelle herüber, wo Hilarius stand, und sagte etwas in einer Sprache, die Hilarius nicht verstand, von der er aber annahm, dass es sich um die böhmische handelte. Heute hatten sie erneut eine Grenze ohne Schwierigkeiten passiert. Schließlich lagerten sie in der Scheune, die auch als Stall für einige Ziegen diente. Ihr Geruch störte Hilarius sehr. Er mochte keine Ziegen; für ihn waren sie Sinnbilder des Teufels. Wie passend, dachte er.
     
    Er wollte einen weiteren Fluchtversuch unternehmen. Dazu musste er jedoch warten, bis sich die Nacht über die kalte Scheune herabsenkte und Federlin schlief.
     
    Sie redeten kein einziges Wort mehr miteinander. Hilarius sah Federlin nicht einmal mehr an. Irgendwann stand er auf und machte es sich in einer Ecke der Scheune bequem, die sich in weitestmöglicher Entfernung von den Ziegen befand und in der überdies einige alte Decken lagen, in die sich Hilarius fest einmummelte. Er wollte jedoch nicht einschlafen. Er durfte es nicht.
     
    Er zuckte hoch. Auf einen Schlag war es schwarz um ihn herum geworden. Erst allmählich begriff er, dass er doch eingeschlafen war. Rasch schälte er sich aus den muffig riechenden Decken und stand auf. Kein Licht fiel in die Scheune; Hilarius konnte kaum etwas sehen. Er tastete sich vorwärts. Ob es funktionieren würde? Er besaß weder Weihwasser noch ein Kreuz; er hatte nur noch das, was er am Leibe trug. Doch mit seinem Zingulum hatte er einmal eine Reliquie des heiligen Bernhard angerührt; dieser armselige, dreckige Strick war das Einzige, auf das er seine Hoffnung setzen konnte.
     
    Beinahe blind tappte er durch die Scheune und war vorsichtig darauf bedacht, keinen unnötigen Lärm zu machen. Bald hörte er Federlins gleichmäßige Atemzüge. Er sah einen schwarzen Umriss auf dem Boden liegen; beinahe

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