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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sie ihn noch immer nicht deutlicher? Keuchend lief sie weiter. War er es etwa doch nicht? Hatte ihr Wunschdenken ihr einen Streich gespielt? Dann war sie nahe genug an den Umriss herangekommen. Sie blieb stehen.
     
    Es handelte sich um eine Frau. Um eine überirdisch schöne Frau. Staunend und beinahe ehrfürchtig ging Maria die letzten Ellen zu ihr hin.
     
    Die gelblichen Augen der Frau lächelten. Sie strich sich mit einer schlanken Hand eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, und als sie sprach, war es, als flüstere ein Glockenspiel. »So allein in dieser finsteren Nacht, mein Kind?«
     
    »Wer … wer bist du?«, fragte Maria und kam sich dabei unsagbar dumm vor. Sie musste zu der Frau aufsehen; so groß war die Fremde. Doch dabei war ihr Körper so harmonisch geformt, dass er beinahe wie eine jener antiken Statuen wirkte, die inzwischen so oft zu sehen waren. Ja, sie war wie eine dieser zum Leben erwachten Skulpturen, und auch ihr Kleid war seltsam unmodisch; es war lang, fließend, von verschwenderischem Faltenwurf und wurde um die Hüfte mit einem juwelenbesetzten Gürtel gehalten.
     
    »Wer soll ich denn sein?«, fragte sie mit ihrer schönen Stimme. Der Ausdruck in ihren weit auseinanderliegenden Augen war verwirrend. Maria spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Eine solch beunruhigende Schönheit hatte sie bisher an keiner anderen Frau festgestellt. Es war, als übe ihr Körper eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Die fremde Frau lachte. »Es ist nicht gut, dass du hier so allein umherstreifst. Hast du keinen Unterschlupf für diese Nacht? Ich kann dir einen gewähren.«
     
    »Nein, bitte nicht«, sagte Maria. Ihre eigenen Worte schienen ihr wie ein Traum zu sein. Sie hatte etwas ganz anderes sagen wollen. Was es gewesen war, wusste sie nicht mehr.
     
    »Aber es ist hier ganz in der Nähe. Ich bin sicher, dass wir uns gut verstehen werden.« Sie trat noch einen Schritt auf Maria zu und stand nun so nahe vor ihr, dass die durch den Stoff ihres Gewandes stechenden Brustwarzen beinahe Marias eigenen Brustansatz berührten.
     
    Maria wollte zurückweichen, aber sie konnte es nicht. »Ich … ich bin glücklich in der Nacht und mit der Nacht.« Worte, die eine andere aus ihr sprach. Jede Faser ihres Körpers und ihres Geistes verlangte nach dieser rätselhaften Fremden.
     
    »Glücklicher wärest du mit mir … und mit dem, der in meiner armseligen Hütte bereits auf mich wartet – und auch auf dich.«
     
    »Wer?« Maria krächzte dieses Wort heraus.
     
    »Ein junger Mann. Er heißt Martin.«
     
    Marias letzte Reste von Gegenwehr verwandelten sich in schreiendes, unbegreifliches Verlangen, und willenlos folgte sie der wunderbaren Frau.
     
        
     

21. Kapitel
     
    »Mein Herr und Gott, ich danke dir. Du hast mich errettet aus dem Tal der Tränen und in dein Reich aufgenommen! Halleluja!« Das waren Bruder Martins erste Worte, als er die Augen aufschlug. Er befand sich im himmlischen Jerusalem, so wie es in der Offenbarung Johannis beschrieben wurde: »Der Bau ihrer Mauer war aus Jaspis, und die Stadt war lauteres Gold, wie reines Kristall. Die Grundsteine der Mauer der Stadt sind mit Edelsteinen aller Art geschmückt: Der erste Grundstein ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, der fünfte ein Sardonyx, der sechste ein Sardion, der siebte ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopas, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. Die zwölf Tore sind zwölf Perlen, jedes einzelne Tor aus einer einzigen Perle. Der Platz der Stadt ist lauteres Gold, klar und hell wie Kristall.«
     
    In einem der Häuser dieser himmlischen Stadt befand er sich nun. Der Boden schien aus Gold – oder zumindest aus einem golden glänzenden Metall – zu bestehen, und Edelsteine glitzerten überall an den Wänden, in die sie in verschlungenen Arabesken eingelegt waren. Martin lag auf einer weichen Liege, deren schwerer Seidenstoff parfümiert zu sein schien; er roch nach Veilchen und Lilien.
     
    Martin streckte sich wohlig, doch dann zuckte er zusammen. Die Schmerzen gingen von seinem Hinterkopf aus und strahlten blitzschnell in den ganzen Körper aus. Vorsichtig betastete Martin seinen Kopf. Er fühlte eine große Beule, die auf seinem rasierten Schädel blühte. Das verunsicherte ihn, denn alle Theologen waren sich darüber einig, dass die Auferstandenen das himmlische Jerusalem ohne körperliche Schäden und

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