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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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lachten.
     
    »Willkommen in der Freiheit, Bruder Martin«, sagte Federlin liebenswürdig und zog spöttisch seine Mütze ab.
     
    »Warum … was … wieso …?«, stotterte Martin.
     
    Der Gaukler lachte auf. »Das war ein gelungener Streich! Deine Bewacher schlafen friedlich und ruhig, und vielleicht haben sie ähnliche Träume, wie du sie gehabt hast.«
     
    »Wie hast du das gemacht? Durch Teufelswerk?«, fragte Martin. In seiner Stimme mischten sich Angst und Zorn. Wann würde dieser Albtraum denn endlich vorbei sein? Die schweigenden, schiefen Häuser starrten mit blinden Augen auf ihn herunter. Sie wirkten auf ihn wie geduckte, sprungbereite Tiere.
     
    »Oh nein, nur durch eines meiner bewährten Pülverchen. Es war ein hartes Stück Arbeit, sich unbemerkt an die Wachen heranzuschleichen. Doch es hat sich gelohnt. Nun bist du frei, wie Pater Hilarius es dir versprochen hat.«
     
    »Wo ist er?«
     
    »Er wartet auf dich. Ich führe dich zu ihm.«
     
    »Wo sind wir hier?«, wollte Martin wissen.
     
    »In der Judenstadt. Im Zentrum der Ereignisse. Spürst du nicht, wie hier sogar die Nacht den Atem anhält? Den schwarzen Atem …?«
     
    Es war in der Tat ungeheuer still. »Träume ich immer noch?«, fragte Martin mehr sich selbst als Federlin.
     
    Der Gaukler gab keine Antwort darauf; er sagte nur: »Wir sollten uns beeilen. Die Zeit drängt.« Und er lief wieder voraus.
     
    Die gewundenen Gassen waren wie ein Labyrinth. Manchmal blitzten über seinem Kopf schmiedeeiserne Ladenschilder auf, aber Martin konnte weder die Symbole noch die Namen erkennen. Manchmal lief eine Katze über die Straße und tauchte sofort wieder ein in die brütenden Schatten der alten Häuser. Nirgendwo ließ sich ein Mensch blicken. Es war, als sei die Stadt ausgestorben.
     
    Schließlich kamen sie in einer engen Sackgasse zu einer Häuserzeile, die offenbar nicht mehr bewohnt war. Viele Fenster waren eingeschlagen, und hinter jenen, die kein Glas besessen hatten, flatterten zerfetzte Öltücher in einem Wind, der nicht von der Straße, sondern aus den Häusern selbst zu kommen schien. Federlin hielt vor dem letzten Haus an, das die Sackgasse quer abschloss.
     
    Wie in Burgebrach, dachte Martin. Wie das Haus des Zauberers Laurenz Hollmann.
     
    Kälte griff ihn an und ließ ihn zittern.
     
    Federlin drückte die knarrende, wurmstichige Tür auf. Finsternis lagerte hinter ihr. Als Martin eingetreten war, schloss der Gaukler die Tür wieder und sperrte damit auch den letzten Rest von Helligkeit aus. Die Fenster des Erdgeschosses waren mit Brettern vernagelt, durch deren Ritzen nicht der geringste Mondschein hereindrang.
     
    Wie sehr sehnte sich Martin nach der Sonne, nach der Weite eines Waldes oder eines Feldes oder einer Wiese, wie sehr nach den Farben der Frühlingsblumen und des Herbstlaubes!
     
    Ein Licht glomm auf. Federlin hielt eine brennende Kerze in der Hand, die sein Gesicht in merkwürdige Schatten tauchte. Martin sah kaum die Hand, die die Kerze hielt; das Licht schien schwerelos in der Luft zu schweben. Er folgte ihm in eines der angrenzenden Zimmer. Die Kerze wurde auf einen Tisch in der Mitte gestellt, und langsam gewöhnte sich Martin an ihren sanften, kläglichen Schein.
     
    Der Raum war leer. Fast leer.
     
    In einer Ecke lag ein schwarzes, schattenumsponnenes Bündel. Aus dieser Ecke drang ein leises Stöhnen. Federlin ging auf das Bündel zu. »Er ist hier, wie ich es versprochen habe«, sagte er.
     
    »Komm her«, drang eine Stimme aus dem Bündel. Es war die Stimme des Paters. Doch wie sehr hatte sie sich verändert! Sie klang so, als müsse sie sich durch einen dichten Vorhang aus Schmerz und Angst quälen. Martin näherte sich dem Pater. Er sah deutlich, wie der Kopf unter dem Gewand hin und her peitschte. Hilarius blickte ihn aus Augen an, die auf eine andere Welt gerichtet waren. Auf eine unvorstellbare Welt. »Der Zwilling«, stöhnte er. »Er frisst mich mit seinen Gedanken und Visionen auf. Ich halte es nicht mehr lange aus. Den Namen!« Hilarius versuchte sich aufzurichten. Martin sah, dass ihm einige fleckige Kissen untergeschoben worden waren, die sich wohl noch irgendwo in diesem verlassen Haus befunden hatten. Mit einem Stöhnen gab es der alte Pater auf und sank zurück. Die Bewegungen des Kopfes unter der Kutte wurden langsamer, bis sie schließlich ganz aufhörten. Einige Zeit lag Hilarius reglos da, sodass Martin schon befürchtete, er sei tot. Doch dann sagte er mit festerer Stimme:

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