Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
an einer Seite wie im Kloster, wo der Tisch überdies gegen die Wand stand, sodass man beim Mahl nur die Wand und seine eigenen frommen Gedanken zur Ablenkung hatte und dem Vortrag des Lektors ungestört folgen konnte. Doch der größte Unterschied zur Refektoriumstafel bestand in dem, was auf diesem Tisch hier stand.
     
    Er bog sich beinahe unter den erlesensten Speisen. Hilarius sah Wildschweine, Fasane, einen Schwan und einige Tiere, die er nicht kannte; bei einem davon, das entfernt einem Truthahn ähnelte, aber viel größer war, handelte es sich den stolzen Erklärungen des Grafen zufolge um einen Dodo, der unter Feinschmeckern sehr begehrt war und mit Gold und Diamanten aufgewogen wurde. Alle Gerichte waren zusammen mit exotischen Früchten zu regelrechten Bildern arrangiert worden, und vor den beiden einzigen Armlehnsesseln, die einander gegenüber jeweils in der Mitte der Tafel standen, blinkten silberne Teller und silbernes Besteck.
     
    An der dem Kamin gegenüberliegenden Wand warteten drei Mohren. Sobald Hilarius und der Graf sich gesetzt hatten, kam der erste hervor und wusch ihnen die Hände. Dann kam der zweite und goss einen tiefgelben Weißwein in die Kristallgläser neben den Tellern. Solche funkelnden Gläser hatte Hilarius noch nie gesehen. Diese Tafel war für ihn wie ein Märchen. Dann kam der dritte Mohr und fragte den Pater in makellosem Deutsch, wovon er zuerst kosten wolle. Hilarius hatte einen Bärenhunger, und er entschied sich für das Wildschwein. Sofort säbelte ihm der Mohr mit überaus großem Geschick und bewunderungswürdiger Anmut ein mächtiges Stück aus der Lende des Tieres und legte es ihm auf den Teller. Auch der Graf begann mit dem Wildschwein.
     
    Als das dampfende Stück Fleisch vor ihm auf dem Silberteller lag, faltete Hilarius die Hände und sprach das Tischgebet, wie er es immer zu tun pflegte, wenn er Speisen zu sich nahm. Da ertönte auf einmal ein leises Zischen. Hilarius schaute verwundert auf. Die drei Mohren waren verschwunden. Der Graf blickte ihn durch die aufgetürmten Gerichte mit wölfischem Grinsen an. »Amen!«, sagte der Pater laut und begann mit dem Mahl. Sein Hunger war stärker als jede Furcht und Nachdenklichkeit.
     
    Das Wildschwein war ausgezeichnet, doch vielleicht hätte es noch ein wenig Salz vertragen. Hilarius ließ die Gabel sinken, deren Gebrauch für ihn sehr ungewohnt war. Zu wenig Salz! Wie bei den Hexenbanketten.
     
    »O Herr, segne dieses Haus, auf dass es ein Hort des Glaubens und der Liebe sei!« Hilarius schlug das Kreuzzeichen und erwartete, dass sich nun die ganze Tafel in Nichts auflöse, doch es geschah genauso wenig wie vorhin beim Tischgebet. Das Grinsen des Grafen wurde noch stärker. Hilarius kostete einen weiteren Bissen. Er schmeckte nicht anders als vorhin. Er spülte mit dem Wein nach. Es war ein schwerer, süßer und starker Wein. Hilarius spürte ihn sofort.
     
    »Habt Ihr Bedenken über die Art dieses Essens?«, fragte Graf Albert. »Ich genieße meine Speisen meist nur leicht gewürzt; ich finde, so kommt ihr eigener, fleischiger Geschmack besser zur Geltung. Ich liebe den Geschmack reinen Fleisches.«
     
    »Warum bin ich hier?«, fragte Hilarius zwischen zwei Bissen.
     
    »Oh, ich glaube, das besprechen wir lieber nach dem Essen. Man sollte eine so wunderbare Mahlzeit doch nicht durch ernste Gespräche verderben, nicht wahr? Und ernste Gespräche werden es sein, das kann ich Euch versichern.«
     
    Nach dem Wildschwein kostete Hilarius von dem Schwan, den ihm einer der Mohren vorlegte. Hilarius sah verwundert, dass sie wieder alle drei wie an einer Schnur aufgereiht an der Wand standen. Wahrscheinlich hatten sie vorhin den Raum nur kurz verlassen und waren von Hilarius unbemerkt zurückgekehrt. Er schlug ein rasches Kreuzzeichen über dem Braten, doch dieses Zeichen zeigte ebenfalls keine unmittelbaren Auswirkungen. Hilarius war beruhigt. Aber auch nachdem er von dem Dodo gegessen hatte, war er noch nicht satt. Der schwere Wein hingegen tat seine Wirkung. Hilarius’ Gedanken wurden langsamer und drehten sich im Kreise. Er hatte Schwierigkeiten, mit der Gabel und dem Messer umzugehen, ohne sich dabei zu verletzen.
     
    Schließlich waren alle Fleischgerichte verzehrt; dabei hatte er kaum gesehen, dass der Graf mehr als eine Scheibe Wildschweinbraten zu sich genommen hatte. Hatte Hilarius etwa alles allein aufgegessen? Das war doch unmöglich. Sein Bauch hätte zum doppelten Umfang aufgequollen sein müssen, doch

Weitere Kostenlose Bücher