Der schwarze Atem Gottes
Herrlichkeit kein irdischer Baumeister je erreicht hatte. Und als sie aus diesem Ort der Stille wieder hervorkamen, sahen sie weit vor sich hoch oben auf einem Berggrat thronend eine vieltürmige Burg. »Das ist die Burg Grafenreuth«, sagte Federlin mit Bestimmtheit.
Martin fragte sich, woher er das so genau wissen wollte.
»Ja, genau so ist sie mir beschrieben worden«, pflichtete Teuffel ihm bei und kratzte sich an der kahlen, roten Kopfhaut. »Mir scheint’s, dass es bis dort oben zu diesem Krähennest noch ein beschwerlicher Weg ist. Kein Wunder, dass der Graf jene so fürstlich belohnt, die diesen Aufstieg wagen und schaffen.«
»Nun ist’s an der Zeit, dass Ihr Euer Versprechen einlöst, Eure Schuld bei uns zu begleichen«, sagte Federlin und wand sich am Kutscher Barthel vorbei auf den Bock, damit er einen besseren Blick auf die Burg erhaschen konnte.
»Halt an, Barthel«, befahl Teuffel. Sofort zog Barthel Greusen an den Zügeln, und der Wagen kam knirschend und knarrend zum Stehen. »Was habt ihr denn vor?«
Darauf erklärte ihm Federlin: »Jemand von uns muss sich zuerst vergewissern, ob Pater Hilarius überhaupt noch auf der Burg weilt. Sicherlich werdet Ihr doch selbst hinaufgehen und den Grafen um die Erlaubnis bitten, Euer Spiel aufzuführen, Teuffel?«
»Ei, freilich.«
»Sehr gut. Dann schlage ich vor, dass Bruder Martin Euch begleitet.«
»Warum gerade ich?«, fragte Martin. Der Gedanke, auf dem Schloss dieses Dämons herumzuspionieren, flößte ihm Entsetzen ein. Verflogen war all seine Stärke, waren all seine guten Vorsätze.
Federlin wandte sich ihm mit einem mitleidigen Lächeln zu. »Weil die Mordbuben mich von dem Kampf her wohl in guter Erinnerung haben werden, und Maria kennen sie noch besser.«
»Aber der Graf hat mich gesehen – damals mit Hilarius in der Schenke in Volkach«, protestierte Martin.
»Er hat einen Mönch gesehen, aber es wird kein Mönch sein, der dort oben zusammen mit dem ehrenwerten Meister Teuffel und vielleicht noch einem oder zwei anderen Künstlern vorsprechen wird.«
»Was soll das heißen?«, brauste Martin auf und schaute erst Federlin und dann Maria hilfesuchend an. Maria zuckte machtlos die Achseln.
»Ganz einfach: Du wirst deine Kutte gegen gewöhnliche Kleider eintauschen, und da das Haar an deiner Tonsur noch nicht genügend nachgewachsen ist und man dich deshalb noch immer als Mönch erkennen wird, musst du wohl oder übel deinen ganzen schwarz schillernden Haarschopf opfern. Ihr habt doch ein Rasiermesser im Wagen, Meister Teuffel?«
Der Schauspieler nickte belustigt; sein haariger Heiligenschein hüpfte auf und ab.
»Nun denn, frisch ans Werk«, befahl Federlin.
Martin wehrte sich, doch er wurde von Federlin, Adam und Klaus festgehalten, während Anna Hänin das Messer wetzte. Unter dem Gelächter der beiden anderen Frauen fiel Martins ganze Haarpracht nach und nach zu Boden, bis sein Kopf so kahl wie ein Kinderpopo war. »Soll ich ihn jetzt auch noch unten rasieren?«, fragte Anna mit einem schelmischen Kichern. Ihre Gefährtinnen krümmten sich vor Lachen.
»Na, ich glaube, ihr habt ihn genug vergewaltigt«, meinte Federlin heiter.
Martin fuhr sich entsetzt mit der Hand über den kahl geschorenen Kopf. Er kam sich so schrecklich nackt vor.
»Kahle Männer haben auf mich etwas unsagbar Anziehendes«, stöhnte Renata und warf ihm einen wilden Blick zu. Wäre er nicht gern gestern Nacht an der Stelle Federlins gewesen? Er schüttelte den Kopf, um diese unheimlichen Gedanken, die ihn immer öfter bedrängten, mit aller Macht zu vertreiben.
Dann zogen die Frauen ihn aus. Er schämte sich unsäglich, als er nackt vor ihnen saß, und hielt die Hände über dem Schoß verschränkt. Es wäre alles halb so schlimm gewesen, wenn er da unten nicht eine heftige Bewegung gespürt hätte. Er musste seine Hände wegnehmen, als Walpurg ihm ein frisches Hemd überstülpte, und dabei schauten alle drei Frauen neugierig nach unten.
»Hussa«, entfuhr es Renata, »wenn ich das schon vorher gesehen hätte, wärst du mir nicht entkommen!« Und wieder dieses Gelächter! Er lenkte sich ab mit einigen Stellen aus dem Alten Testament, die ihnen vom Novizenmeister immer wieder eingebläut worden waren: »Du sollst dich einer fremden Frau nicht nähern, damit du nicht in ihre Netze fällst. Auch leg dich nicht zu einer Saitenspielerin, damit du nicht gefangen wirst durch ihre
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