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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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unbegründet? Wie gern wollte er das glauben! Sein Kopf schnellte hoch, seine Hände krampften sich um die Stuhllehnen zusammen, bis die Knöchel weiß hervorstanden. Er suchte nach Worten. »Aber … Aber … « Dann entspannte er sich wieder. »Wenn Jesus Christus diese Pforte versiegeln kann, warum lasst Ihr dann nicht einfach viele Messen lesen? Warum betet Ihr nicht einfach zu unserem Herrn?«
     
    »Weil er nicht unser Herr ist.«
     
    Hilarius wurde bleich. »Ich habe es doch gewusst! Ihr seid ein Ketzer der übelsten Sorte! Warum höre ich Euch eigentlich noch zu?« Er stand auf und ging wortlos zur Tür. Sie wurde geöffnet, und einer der Mohren stand mit einem Säbel in der Hand dahinter.
     
    »Es tut mir leid, aber wenn Ihr mir nicht weiter zuhören wollt, muss ich wohl zu drastischen Mitteln greifen. Das Wohl der Welt lässt mir keinen Spielraum«, sagte der Graf traurig, doch diese Trauer klang nicht echt. »Ich flehe Euch an, setzt Euch wieder. Dann wird Euch in diesem Hause kein Leid geschehen; das verspreche ich Euch. Hört mir doch bitte zu. Wollt Ihr es denn schuld sein, wenn das Böse diese Welt übernimmt?«
     
    Hilarius schaute zuerst den Mohren an und warf dann einen Blick zurück auf den Grafen, in dessen Augen unendlicher Schmerz lag. Konnten diese Augen lügen; konnte der Mann, dem diese Augen gehörten, wirklich ein Abgesandter des Teufels sein? Was war, wenn er die Wahrheit sagte? Wollte Hilarius dieses Risiko wirklich auf sich nehmen? Mit einem Seufzer ging er zu seinem Stuhl zurück und setzte sich wieder.
     
    »Ich danke Euch von ganzem Herzen«, sagte Graf Albert; er schien es ernst zu meinen. Dem schwarzen Diener gab er ein Zeichen, und die Tür wurde lautlos wieder geschlossen. Nein, eigentlich war es, als wäre sie nie geöffnet gewesen, denn Hilarius sah nicht, wie sie geschlossen wurde. Sie war plötzlich einfach zu. Seine Zweifel kehrten zurück.
     
    Graf Albert sagte: »Ich bin Euch eine Erklärung schuldig. Ich habe gesagt, dass Jesus Christus nicht unser Herr ist, und ich habe meine Gründe dafür. Aber ich bitte Euch: Unterbrecht mich nicht; lasst mich ausreden. Erst dann werdet Ihr es ganz verstehen.« Er legte die Hand unter seinen sorgsam gestutzten Bart und strich sich mit einem seiner langen Finger über die weichen Haare und den schmallippigen Mund. Dann fuhr er fort: »Jesus Christus ist nicht der Messias, für den Ihr und die ganze christliche Kirche ihn haltet.«
     
    Hilarius schnappte nach Luft, aber er zwang sich, nichts zu sagen. Musste er sich wirklich solch gemeine Blasphemien anhören? Na, er würde den Grafen dafür schon noch bezahlen lassen! Er hörte weiter zu.
     
    »Es ist Euch vielleicht bekannt, dass auch die Juden Jesus nicht als ihren Messias akzeptieren, sondern ihn nur als Propheten ansehen. Ihnen zufolge kommt der wahre Messias erst noch.«
     
    Hilarius hielt es nicht mehr aus. »Die Juden sind allesamt verstockte Ketzer! Verbrennen sollte man sie alle! Sie sind unrein und stinken und sind gemein und hinterhältig und übervorteilen jeden, mit dem sie zu tun haben, und beten nur den Mammon an.«
     
    »Wenn man Euch zuhört, könnte man glauben, Ihr redet vom Heiligen Stuhl oder von Eurem Kloster. Aber wie dem auch sei, der Messias ist noch nicht da. Vergesst nicht, dass es ein Jude war, der die Pforte errichtet hat. Wenn man sie vernichten will, muss man sich innerhalb ihres eigenen Glaubenssystems bewegen. Jedes System erschafft sich seine eigenen Gefahren, seine eigenen Rettungsmöglichkeiten und seinen eigenen Untergang. Doch jedes System hat Auswirkungen auf die gesamte Menschheit, sobald es in die Wirklichkeit eintritt.«
     
    »Das ist falsch! Es gibt nur einen wahren Glauben.«
     
    »Nein. Jeder Glaube schafft sich seine eigene Wahrheit. Und für die Juden ist es eine Wahrheit, dass der ihnen versprochene Messias noch nicht erschienen ist. Und nur er wäre stark genug, die Pforte wieder in die jenseitige, göttliche Sphäre zurückzustoßen.«
     
    Hilarius rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Wieder hielt er die Lehnen fest umklammert. »Wenn der Messias noch nicht da ist, wie sollte man dann Eurer Meinung nach das Tor verschließen? Und was habe ich damit zu tun?« Ihm dämmerte eine Erkenntnis, aber er bemühte sich, sie zu verdrängen.
     
    »Der Messias muss nicht bereits leibhaftig unter uns weilen, um die Pforte zu versiegeln. Er muss nur in der Welt sein. Und das bedeutet, dass der Zeitpunkt seiner Zeugung bereits

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