Der schwarze Engel: Horror-Thriller
lehnte sich an ihn, und ihre Wangen berührten sich. Dann schob James F. King seine Gattin zurück. Er schaute ihr in die dunklen Augen, die wie überreife Kirschen wirkten. Und er sah den feuchten Schimmer darin, in dem die Pupillen verschwammen.
James F. King runzelte die Stirn. »Du hast geweint?« fragte er leise.
Vanessa nickte.
»Und warum? Heute ist ein Freudentag. Nicht nur für Damona, sondern auch für uns.«
Vanessa King schüttelte den Kopf. »Nein, James«, erwiderte sie leise. »Für uns ist heute kein Freudentag.«
»Ich verstehe dich nicht, meine Liebe.«
»Dann will ich es dir erklären.« Vanessa ging einige Schritte zur Seite und betrachtete im Spiegel ihr Ebenbild. »Ich hatte mich vorhin etwas hingelegt«, erzählte sie. »Eigentlich wollte ich gar nicht einschlafen, aber dann fielen mir doch die Augen zu. Plötzlich hatte ich einen Traum. Ich sah uns, dich und Damona. Und ich sah die zwei Männer. Sie kamen ins Schloß und hatten Waffen bei sich.«
»Weiter!« forderte James King, als er merkte, daß seine Frau zögerte.
»Es waren schlechte Menschen. Sie töteten uns. Dich und mich!«
Jetzt war es heraus.
James F. King erschrak nicht. Er schüttelte den Kopf. »Aber das ist doch Unsinn, Vanessa. Ich meine ... wann soll das denn geschehen?« fragte er plötzlich.
»Heute, James. Heute nacht!«
Tief atmete James F. King ein. Er ließ ein, zwei Sekunden verstreichen, ehe er antwortete.
»Du ... du hast doch Damona nichts von deinem Traum erzählt?«
»Nein. Ich wollte sie nicht beunruhigen.«
»Außerdem hätte sie gelacht«, sagte James King.
»Noch, Darling, noch. Aber wenn sie erst einmal gehört hat, wer sie in Wirklichkeit ist und welches Blut durch ihre Adern fließt, wird sie vieles mit anderen Augen sehen.«
Nachdenklich strich sich James King mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken. »Ich frage mich langsam, ob es gut sein wird, wenn wir ihr die volle Wahrheit erzählen.«
Vanessa zuckte herum. »Doch, James, wir müssen es. Denk daran, was ich dir gesagt habe. Wir beide werden sterben.«
»Aber du hast doch nur geträumt.«
Die schwarzhaarige Frau lächelte traurig. »Hast du jemals erlebt, James, daß meine Träume unrealistisch waren?«
»Nein, das nicht, aber ...«
»Kein Aber, James. Jeder meiner Träume ist bisher in Erfüllung gegangen. Du weißt, wen du geheiratet hast.«
»Aber auch du kannst dich irren, Vanessa.«
»Ich ja. Aber nicht der Traum.«
James King schüttelte den Kopf. »Nein, nein, daran glaube ich einfach nicht. Daran will ich nicht glauben. Wer sollte uns hier töten wollen?«
»Vergiß nicht, daß ich aus alter Zeit noch immer Feinde habe.«
»Die denken doch gar nicht daran.«
»Hast du eine Ahnung.«
James F. King trocknete sich mit einem blütenweißen Tuch den Schweiß von der Stirn. »Und was machen wir jetzt? Wie verhalten wir uns Damona gegenüber?«
»Völlig normal, James.«
»Das wird mir verflixt schwerfallen.«
Vanessa legte ihrem Mann beide Hände auf die Schultern. »Reiß dich zusammen, James. Tu mir den Gefallen. Und ... vielleicht hast du recht. Vielleicht habe ich mich diesmal tatsächlich geirrt.«
»Nicht nur vielleicht, sondern auf jeden Fall.«
Vanessa küßte ihren Mann auf die Lippen. »Okay, Liebster, ich habe mich geirrt. Belassen wir es dabei.«
Sie sprach die Sätze leichthin aus. In Wirklichkeit aber war sie vom Gegenteil überzeugt. Doch sie wollte ihrem Mann die letzten Stunden in seinem Leben nicht vergrämen. Gemeinsam würden sie in den Tod gehen. Der Traum hatte sie gewarnt. Und Damona, ihre Tochter, würde ein schweres Erbe übernehmen, eine Bürde, unter der sie entweder zusammenbrach oder die sie dazu benutzte, um für die Sache der Menschen und des Guten zu kämpfen.
Die Entscheidung war nicht leicht. Wahrhaftig nicht ... Zwanzig Uhr. Um diese Zeit wollte die Familie. King mit dem Festdinner beginnen.
Es klopfte, und Henry, der Butler, meldete Damona King.
»Wir lassen bitten«, sagte Lady King.
Und dann kam Damona in die Bibliothek. Sie stürzte förmlich in den Raum. Ihr weißes weitgeschnittenes Kleid umwehte die prächtig gewachsene Figur wie eine Fahne.
»Hallo Dad, hallo Ma!« rief sie und fiel zuerst ihrem Vater um den Hals, als hätte sie ihn wochenlang nicht gesehen.
Sie ist wie ich, dachte Vanessa, die ihre Tochter beobachtete. Wie damals ...
Fest drückte James F. King seine Tochter an sich. »Darling«, rief er, »mein Sonnenschein.«
Damona machte sich lachend
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