Der schwarze Engel
Boden, während sie bezeugte, dass sie gar nicht gewusst
hatte, dass sie so bekannt sei, und ein Engel sei sie sicherlich nicht und sie
könnte gar nicht verstehen, wieso ausgerechnet über sie gesprochen wurde, wo
sie doch nur eine ganz normale Studentin war und diese Aufmerksamkeit
eigentlich gar nicht wollte. Sichtlich gerührt von Delicias scheinbarer
Bescheidenheit und Freundlichkeit lächelten die ersten Fremden um sie herum und
schon hatte sie es geschafft, erneutes Gesprächsthema zu werden. Eine gute
Propaganda, die sich immer weiter ausbreitete. Nachdem sie noch einmal die
Frage verneinte, ob sie etwas vorführen wollte, und bemerkte, dass man es dabei
belassen würde, hob sie schließlich ruckartig den Kopf und ging auf einen
großen Platz zu: „Na gut, na gut, ihr habt mich überredet! Aber nur, weil ihr
es seid! Eigentlich mache ich so etwas ja nicht!“
Jeder im Raum fühlte sich
bevorzugt, da Delicia extra nur für sie eine kleine Einlage geben würde, und
freute sich darüber. Angeblich sollte sie ja sehr bekannt sein, und angeblich
sollte sie auch eher schüchtern sein. Da hatten die Partygäste anscheinend
großes Glück!
Delicia brachte sich in Position.
Na also, der Abend verlief doch noch ganz gut! Ihre Karriere würde schon bald
einen entscheidenden Schritt nach vorne machen! Vanessa hatte ihr heute Abend
sehr geholfen - sie hatte etwas bei ihr gut. Und Delicia wusste auch schon,
womit sie ihr danken würde.
Der Rest des Abends war nur noch
Kinderkram. Delicia präsentierte ihre Showeinlage, sang ein paar Lieder, tanzte
ein bisschen umher, und obwohl an ihrer Einlage nichts Besonderes war und sie
mehr schrie, als sang, waren einige aus dem kleinen Publikum sofort
hingerissen. Die Gäste auf der Party sahen Delicias Sicherheit über sich selbst
und hörten, wie Vanessa von ihr schwärmte und immer wieder sagte „ist sie nicht
toll?“, sodass manche bald selbst ins Bewundern gerieten. Ja, es war wirklich
wahr, was man über diese Delicia sagte. Sie hatte ein freundliches, besonderes
Wesen und ein unglaubliches Talent, dazu diese Bescheidenheit - und schon war
ihr Fankreis wieder gewachsen. Während sie noch ihre Show zum Besten gab,
überlegte sie schon, ob es in nächster Zeit nicht noch eine Gelegenheit gäbe,
wieder aufzutauchen und ein bisschen für sich selbst zu werben.
Nachdem Delicia großen Beifall
geerntet und viele bewundernde oder neidische Blicke eingeheimst hatte,
erwähnte sie kurz scheinbar nebenbei, dass sie wahrscheinlich nächste Woche in
einem bestimmten Klub wäre, als sie schnell beschloss, zu gehen. Man sollte
bekanntlich aufhören, wenn es am schönsten und das Interesse am größten war, so
blieb man noch eine Weile Gesprächsstoff und die Leute würden darauf brennen,
mehr über sie zu erfahren und sie wieder zu sehen.
Vanessa wollte ihre Freundin
begleiten, doch Delicia lehnte ab, mit der Begründung, dieser ganze Rummel
hätte sie erschöpft und sie müsse sich davon ausruhen. Sie war Vanessa zwar
dankbar, aber so dankbar nun auch wieder nicht. Delicia wollte noch etwas in
Ekstase über den gelungenen Abend verbringen und ihre Zeit nicht mit dieser
nervigen Vanessa vergeuden. Außerdem schien sie gut Werbung für sie zu machen
und konnte deshalb ruhig noch ein Weilchen hier bleiben. Allerdings musste sie
auch dafür sorgen, sich Vanessas Liebe zu erhalten und lud sie deshalb für den
nächsten Tag zu sich nach Hause ein.
Mit einem künstlichen Lächeln
verabschiedete sich Delicia und machte sich auf den Weg nach Hause, wo sie sich
einen gemütlichen Abend machen würde. Auch wenn sie mittlerweile ein Profi war,
war jede Art von Show anstrengend. Ganz besonders die Show, jemand anderer zu
sein. Dieses Eingeständnis erlaubte sich Delicia nur sehr selten; sie konnte
besser mit ihrer Falschheit umgehen, indem sie sich die meiste Zeit über selbst
vormachte, die zu sein, die sie sein wollte. In Wahrheit wusste sie gar nicht
mehr so genau, wer sie eigentlich war. Sie fühlte sich in einigen Momenten wie
ein Mensch ohne eigene Identität, was sie manchmal in tiefe Depressionen
stürzte. Ein Leben und ein falsches Ich zu spielen, brachte den Preis mit sich,
dass man irgendwann anfing, sich selbst zu verlieren.
Die Party ging auch ohne sie
weiter. Alle waren gut drauf und unterhielten sich fröhlich, während das
Hauptthema natürlich Delicia war. Vanessa erzählte, wie zerbrechlich und
sensibel die liebevolle Delicia war und dass sie diesen Rummel eigentlich
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