Der schwarze Fürst der Liebe
sprechen, aber es gelang nicht. Sie versuchte es mit dem Wort »Wasser«. Hatte er sie verstanden?
Engellin öffnete mühsam die Augen. Vor ihr stand mit blitzendem, sehnsüchtigem Blick der Mann, den sie am Pranger gesehen hatte. Eine verfilzte und unsaubere Gestalt in einer derben braunen Jacke, die trotz ihrer Weite den breiten Brustkorb betonte und ungeheuer starke Arme erahnen ließ. Er könnte ihren Schädel mit seinen Händen zerdrücken wie eine Walnuss , schoss es ihr durch den Kopf. Engellins Gesichtsausdruck musste sich geändert haben, denn ein breites Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Erstaunlicherweise hatte er weiße und vitale Zähne! Plötzlich war er schön. Verwildert, dreckig, stark und seltsamerweise schön. Das berührte sie. Aber musste er sie so anstarren? Seine dunklen Augen glänzten.
»Was glotzt du mich so an?« Sie wollte sich aufrichten. »Wer bist du überhaupt?«
»Ich bin dein Retter. Ich heiße Bartel«, knurrte er beleidigt.
»Ich kenne dich nicht«, krächzte sie und griff mit den Händen ins Moos, um sich noch einmal emporzuziehen.
»Ich habe dich am Pranger beschützt und aus der Stadt gerettet«, behauptete er.
»Du lügst! Am Pranger war nur so ein dünnes Kerlchen.«
»Ja, Maus hat dich in meinem Auftrag bewacht.«
Nun erinnerte sie sich. Er war derjenige, der sie auf dem Marktplatz betrachtete hatte, wie eine Kuh, die er kaufen wollte. Er hatte sie entführt. Sie öffnete den Mund um ihn zu beschimpfen, da fiel ihr schlagartig ein, dass sein Übergriff ihr wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Sie wäre sonst höchstwahrscheinlich halbtot neben dem Pranger liegengeblieben. Elisabetha war tot, sie hatte niemanden, der sich um sie kümmerte. Bis auf diesen fremden Mann – nein, diese beiden Männer, denn ein dürrer, schwarzhaariger Kerl trat zwischen den Bäumen hervor, in den Händen große Blätter, die er an den Kanten zusammenhielt. Er hatte Wasser! Kraftlos öffnete sie die aufgesprungenen Lippen und ließ sich das kühle Nass in ihre ausgedörrte Kehle fließen. Engellin genoss die Kühlung und spürte mit geschlossenen Augen, dass die Zwei sie erwartungsvoll ansahen. Von ihnen drohte ihr keine Gefahr – das fühlte sie genau. Sie war entronnen! Sie wusste wohl noch nicht, welche Verletzungen sie erlitten hatte, aber sie hatte wieder einen Funken Hoffnung – Hoffnung auf Leben.
Sie sah die beiden Männer an: »Nun gut«, flüsterte sie. »Ich bin Engellin.«
Von dem Weg, den sie, weiterhin von Bartel getragen, zurücklegte, nahm sie kaum etwas wahr. Irgendwann machten sie Rast und Engellin wurde mit einem weichen, würzig duftenden Gemisch gefüttert, das in ihr die Lebensgeister weckte.
Ich muss mich behandeln, dachte sie. Was haben sie alles zerstört? Sie bewegte sich vorsichtig, überprüfte sich vom Kopf bis zu den Fußsohlen. Nein, kein Knochen gebrochen. Ein paar brennende Hautabschürfungen. Nichts Ernstes. Nur dieses seltsame Gefühl im Unterleib.
Engellin schob die aufsteigenden Bilder, von dem was im Gefängnis gewesen war, zur Seite. Nur nicht an Einzelheiten denken. Man hatte sie nicht nur vergewaltigt, sondern auch gepfählt. Wie stark war sie verletzt? Hatten ihre Peiniger die Gebärmutter perforiert? Damit musste sie rechnen. Sicherlich war Schmutz in die Wunde geraten. Im Geiste stellte sie eine Liste der erforderlichen Heilkräuter zusammen, die sie benötigen würde, und winkte Maus kraftlos mit der Hand heran. Die Untersuchung ihres Körpers hatte sie die verbliebene Kraft gekostet.
»Bitte, ich brauche Hilfe«, flüsterte sie Maus zu. »Versuche Kräuter zu finden.« Sie sammelte sich und nannte ihm die benötigten, entzündungshemmenden Heilpflanzen. Sie hatte Glück. Maus kannte die meisten Pflanzen, um die sie ihn bat, und huschte davon. Einige würden im Herbst schwer zu finden sein, aber sie hoffte auf seinen Sachverstand.
Kapitel 7 – Die Bande
Wochen vergingen. Engellin hätte es wirklich schlechter treffen können. Ihr war klar, dass sie unter ihr altes Leben einen Schlussstrich setzen musste. Elisabetha war tot, ihr graues Stein-Häuschen bestimmt geplündert und ihre wenige Habe verschwunden. Es waren schwere Zeiten und die meisten Menschen lebten im Elend.
Sie lag auf einem Heulager in Bartels kleinem, aus Baumstämmen zusammengefügtem Blockhaus und überlegte. Sie war bei einer Räuberbande gelandet. Bei Strauchdieben und Wegelagerern. Das bedeutete, dass sie kein langes Leben haben würde. Die
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