Der schwarze Fürst der Liebe
Laut erstarb.
Engellin wollte im Nachtgewand loslaufen, aber sie hielt inne mit der Türklinke in der Hand. Sie musste sich beruhigen. Die Kerle waren im Haus. Sie war ebenfalls in Gefahr! Es war mehr als leichtsinnig einer Horde aufgebrachter, blutrünstiger Schergen im Nachthemd mit offenem Haar gegenüberzutreten!
Mit fliegenden Händen zog sie ihr braunes Leinenkleid über, das sie für die Dreck- und Hausarbeit benutzte. Sie zerrte am Mieder. Suchte bebend nach einer Waffe. Im Schlafzimmer! Alle ihre Schneidwerkzeuge befanden sich in der Küche. Während Engellin noch fieberhaft überlegte, wurde ihre Tür krachend aufgetreten.
»Ah!«, brüllte ein rotgesichtiger Kerl, der sich breitbeinig in der Türöffnung aufbaute. »Da haben wir sie ja, die Hexe!« Zwei nachfolgende Schergen in zerschlissener, bunter Landsknecht-Kleidung drängten durch die niedrige Tür. Sie ergriffen Engellin an den Armen und einer der Knechte gab ihr eine so heftige Ohrfeige, dass ihr Kopf zur Seite flog. Sie sah nur noch rot. Trotzdem wehrte sie sich, tobte und trat um sich, die Männer aber waren ihr kräftemäßig weit überlegen. Wie eine Wildkatze versuchte sie zu beißen und zu kratzen, da traf sie ein Hieb in den Magen, der sie zu Boden gehen ließ. Einer der Schergen packte sie grob, warf sie sich wie einen Sack über die Schulter und ging Richtung Haustür.
Kopfüber über den Rücken des Mannes hängend, konnte sie einen Augenblick lang einen Blick durch die Tür von Elisabethas Kammer erhaschen. Die alte Frau lag verrenkt wie eine Puppe in einer sich ausbreitenden Blutlache.
»Nein!«, keuchte Engellin, aber war bereits an dem Zimmer vorüber und wurde brutal auf einen Ochsenkarren geworfen.
Einer der Kerle zwängte sich dicht neben sie. Er packte sie an den aufgelösten Haaren und bog ihr den Kopf in den Nacken: »Eine blonde Hexe! Nun werden wir dir dein Hexenwerk ein für alle Mal austreiben. Du wirst nie wieder ein anständiges Mädchen wie Lena Warrenhausen verhexen! Du Miststück!« Er presste ihre Handgelenke zusammen und fesselte sie mit groben Stricken, warf sich mit seinem vollen Gewicht auf ihre Beine und umwand die Knöchel ebenfalls eng und schmerzhaft.
Angst! Niemals in ihrem ganzen Leben hatte sie solche Panik verspürt! Sie war von Elisabetha aufgenommen und erzogen worden, nachdem diese sie als schreienden Säugling vor fünfundzwanzig Jahren vor ihrer Tür gefunden hatte. Sie hatte gelernt, studiert, gearbeitet. Immer behütet von der geachteten Heilerin Elisabetha, die sie liebte wie eine Mutter. Was geschah nun mit ihr? Sie hatte sich doch gegen Warrenhausen wehren müssen! Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass er die Schergen geschickt hatte.
Der Karren polterte über die löchrige Straße. Der Kerl neben ihr gähnt laut. An Flucht war nicht zu denken.
Was würde nun mit ihr geschehen? Folter? Tod? Pranger? Der Ochsenkarren rumpelte durch das Stadttor Richtung Gefängnis. Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie besaß sich, sie hatte ihre Ausbildung. Es würgte Engellin im Hals, als sie an Elisabetha dachte. Sie musste genau überlegen, was diese ihr eingeschärft hatte. Sie brachte ihr eine Art Tiefenentspannung bei. Elisabetha konnte sich so tief entspannen, dass man annahm, sie schliefe. Jedoch war es kein Schlaf. Sie geriet in einen Dämmerzustand.
Oh Gott! Wie sollte sie es in dieser Situation schaffen, sich zu lösen? Aber sie musste es versuchen. Musste einen klaren Kopf behalten. Nur so konnte sie vielleicht überleben, was nun kam. Gleichgültig was sie mit ihr taten, Angst und Verkrampfung machten alles nur noch schlimmer. Engellin versuchte sich an Elisabethas Worte zu erinnern, als sie unsanft aus dem Ochsenkarren gezerrt wurde. Man stieß sie durch einen nach Fäkalien stinkenden Gang, der von Fackeln nur spärlich erhellt war.
Der kahle, kalte Raum mit den groben Steinwänden besaß nur einen verschmutzten Holztisch. Dieser hatte an allen Ecken große Eisenringe, was sie aber erst wahrnahm, als man sie auf die harte Holzplatte warf und ihre Hände dort mit Seilen befestigte. Ein Versuch sich zu treten, wurde mit einer weiteren Ohrfeige quittiert. Ihr Kopf schmerzte.
Ein dritter Kerl in schwarzer Kleidung stieß zu den Schergen, die sie entführt hatten. Mit irrsinniger Angst starrte sie auf sein breites Grinsen, das ein fast zahnloses Maul entblößte. »Wie hübsch«, grunzte er. Er riss ihr das Mieder, das sie nicht geschaffte hatte vollends zu schnüren, von
Weitere Kostenlose Bücher