Der schwarze Kanal
den richterlich verfügten Zugriff auf die Anrufe, die jemand nach einer Tat getätigt hat. Da man dann allerdings in der Regel nicht mehr weiß, mit wem ein mutmaßlicher Täter zur Vorbereitung derselben übers Telefon im Austausch stand, ist diese Fahndungsmethode im Ermittlungsalltag nur bedingt von Nutzen. Das weiß auch Frau Leutheusser-Schnarrenberger, aber die Ministerin verfolgt höhere Ziele: Sie träumt schon länger davon, die FDP wieder ans linke Lager heranzuführen, das scheint ihr die passende Gelegenheit dazu. Weil die Führungsspitze der Freidemokraten ständig mit ganz anderen Problemen beschäftigt ist, ist niemand von Gewicht da, ihr entgegenzutreten.
Nicht ganz klar ist, was eigentlich Furchtbares passieren soll, wenn die Telekom die Verbindungsdaten ihrer Kunden nicht nur vier Wochen aufbewahrt, um dann ihre Abrechnungen zu erstellen, sondern, wie bei der Vorratsdatenspeicherung gefordert, ein halbes Jahr. Aber irgendwie stellen diese zusätzlichen fünf Monate eine enorme Gefahr für die Freiheit des Bürgers da. Wahrscheinlich geht es darum, für den Tag gewappnet zu sein, wenn der demokratische Staat wieder in eine Diktatur umschlägt und wir alle erneut zu kleinen Hans und Sophie Scholls werden. Da möchte man den Häschern nicht schon jetzt freiwillig die Mittel an die Hand geben, mit denen sie einen dann zu erledigen trachten. Anders lässt sich ja auch die Aufregung um die Apple-Software nicht erklären, mit der sich, wenn man denn über einen IT -Experten im Haus verfügt, ein detailliertes Bewegungsprofil des iPhone-Kunden erstellen lässt. Auch in Zukunft werden viele Ehen mutmaßlich eher an einer falsch versendeten SMS scheitern als an der kleinen Apple-Datei, in der alle Aufenthaltsorte der Telefonbesitzer hinterlegt sind.
Man wäre sicher geneigter, die Ängste vor dem staatlichen Datenzugriff ernster zu nehmen, wenn sie nicht von denselben Leuten geäußert würden, denen sonst die Ermächtigungsrechte des Staates nicht weit genug gehen können. Kaum handelt es sich ums Soziale, richtet die Linke ihre ganze Hoffnung auf den Apparat, dem sie eben noch alles Böse zutraute. Umgekehrt würde es eher Sinn machen, sollte man meinen: Im Alltag kommen viele Menschen auch ganz gut ohne staatliche Fürsorge aus, wenn man sie denn lässt. Dagegen hilft das schöne Subsidiaritätsprinzip gerade dann nicht weiter, wenn die innere und äußere Sicherheit berührt ist. Gegen die Feinde der demokratischen Rechtsordnung bietet nur der Staat verlässlichen Schutz – es sei denn, man würde auch hier zur Selbsthilfe zurückkehren. Aber das scheint dann doch ein sehr weitreichender Schritt zum Schutz der Privatsphäre.
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Strafe muss weh tun
Eines der nachhaltigsten Reformvorhaben der Nachkriegsgeschichte, dessen Bedeutung im öffentlichen Bewusstsein nie seinen angemessen Platz fand, ist die grundlegende Modernisierung des Strafrechts. Die im Epochenjahr 1969 von der ersten sozialliberalen Koalition ausgelöste Generalüberholung hat die Strafzumessung in Deutschland tiefgreifend verändert. Die Zahl der Menschen, die wegen schwerer Vergehen ihre Freiheit einbüßten, ging schlagartig und dauerhaft zurück. Wurden 1968, also ein Jahr vor Beginn der Reform, 172000 Straftäter zu Gefängnis verurteilt, sind es seitdem, mit geringen Schwankungen, nur noch knapp 70000 im Jahr. Ein schöner Humanisierungseffekt, der sich allerdings nicht der gewachsenen Gesetzestreue der Deutschen verdankt, sondern ausschließlich der gestiegenen Milde der Gerichte.
Den Enthusiasmus der Praktiker für die Strafzurückhaltung haben die einfachen Bürger nie wirklich geteilt. Im gemeinen Volk hält sich bis heute hartnäckig die Vorstellung, dass dem Verbrechen eine Vergeltung folgen sollte. Dieses Verlangen flammt bei Gelegenheit immer wieder auf, sosehr sich die Experten auch mühen, die Vorzüge des Vergeltungsverzichts zu preisen. Im vergangenen Jahr waren es die Gewaltbilder aus einem U-Bahnhof in Berlin, die viele nach einer entschiedeneren Aburteilung rufen ließen, in diesem Fall durch die Entscheidung befördert, den Delinquenten sofort wieder auf freien Fuß zu setzen.
Das Problem ist dabei gar nicht so sehr die Haftverschonung für den jugendlichen Exzesstäter – auch wenn man Zweifel haben kann, ob die Verhältnisse bei einem 18-Jährigen, der mal eben einen Passanten auf einem U-Bahnhof fast zu Tode tritt, wirklich so «geordnet» sind, wie die Berliner Staatsanwaltschaft dem
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