Der schwarze Kanal
möge, dass er notfalls auch Italien oder Spanien Schutz bietet. Wie ein Rettungsfonds konstruiert sein soll, der die dritt- und die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone mit Krediten versorgt, wenn es der freie Markt nicht mehr tut, ging aus dem Brief nicht hervor. Aber um solche Details geht es Barroso ja auch gar nicht; entscheidend ist die Verschiebung der Machtverhältnisse, und die beginnt bei der Verfügungsgewalt über den Haushalt, wie jeder Politiker weiß.
Man kann lange darüber streiten, ob es nicht genau solche Interventionen aus der Spitze der EU -Bürokratie sind, die dafür sorgen, dass die Lage nicht besser wird. Bedeutsamer ist, dass der Kommissionspräsident mit seinen Vorstellungen zur Neugestaltung der Verhältnisse nicht allein steht. Der Kampf um die Rettung des Euros ist auch ein Kampf der wirtschaftspolitischen Kulturen, dessen Ausgang darüber entscheidet, ob die Zukunft Europas im Etatismus liegt – oder in einem System, das weiter den produktiven Wettbewerb kennt. Für die Anhänger der großen Transferunion liegt das Heil in einer Art Super-Sozialstaat, der die Differenzen, die sich aus der unterschiedlichen Leistungskraft der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben, weitgehend einebnet. Dagegen steht das Lager derjenigen, für die nationale Grenzen weiterhin ihre Bedeutung haben, und auch die Würdigung der Anstrengungsbereitschaft, die sich in den Wirtschaftsbilanzen ausdrückt.
Man muss sagen, bislang hat Angela Merkel alle Versuche, die Probleme dadurch zu lösen, dass man sie vergesellschaftet, auf ihre hinhaltende Art ganz gut pariert. Dass die deutsche Regierungschefin sich bemüht, das Geld ihrer Landsleute zusammenzuhalten, bringt ihr allerdings auch im Inland mehr Tadel als Lob ein. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass in den Ressorts, in denen ihr Verhandlungsgeschick beurteilt wird, die Vertreter der Sozialstaatslösung besonders zahlreich vertreten sind.
Viel ist jetzt von dem friedlichen Miteinander in Europa die Rede, den Verpflichtungen aus zwei Weltkriegen, der Zukunft unserer Kinder. Das allein sollte einen skeptisch machen. «Wer Menschheit sagt, will betrügen», heißt es bei Carl Schmitt. Dass der Satz von Schmitt stammt, spricht nicht gegen seinen Wahrheitsgehalt; der Mann kannte sich aus mit politischem Pathos. Wo großzügig mit dem Eigentum anderer Leute verfahren wird, mangelt es selten an großen Worten. Tatsächlich besteht zwischen rhetorischem Aufwand und Enteignungswille ein enger Zusammenhang, wie man aus der Vergangenheit weiß.
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Abmahnung aus Brüssel
Zwei Tage nach Veröffentlichung der letzten Kolumne erreichte die Redaktion ein Schreiben, in dem die Sprecherin des EU -Kommissionspräsidenten einen eklatanten Fall von «Rufschädigung» als Folge eines «fehlerhaften Kommentars» beklagte. Die Europäische Kommission müsse den «Inhalt» der Kolumne «entschieden» zurückweisen, schon weil er eine Reihe «faktischer Irrtümer» enthalte. Bis heute sei Barroso, anders als behauptet, «für sein großes Engagement für Haushaltsdisziplin bekannt» – ja, dieses Engagement mache überhaupt «einen wesentlichen Teil seines politischen Profils» aus, so die Kommission beziehungsweise ihr Vorsitzender beziehungsweise die Sprecherin: «Ein Kommentar, der auf den korrekten Fakten beruhen würde, hätte eine andere Tonalität.»
Nun ist es aus hiesiger Sicht schwer zu beurteilen, welche Tonalität man am Sitz des Kommissionspräsidenten bei der Befassung mit seiner Person gewohnt ist. Es gibt, von Hugo Chávez einmal abgesehen, auch nicht viele Weltpolitiker, die ihren Apparat wegen eines «fehlerhaften Kommentars» aus dem Urlaub rufen würden. Das moderne Gegendarstellungsrecht kennt aus gutem Grund keine falschen Meinungen, sondern nur falsche Tatsachenbehauptungen. Tatsächlich ist es in den allermeisten parlamentarisch kontrollierten Institutionen inzwischen aus der Mode gekommen, die eigenen Leute schreiben zu lassen, was für ein toller Kerl man doch ist. Solche Ergebenheitsadressen an den geliebten Führer kennt man heute eher aus Weltregionen, in denen die Demokratie noch nicht wirklich verankert ist.
Aber das sind, angesichts der erhobenen Vorwürfe, Nebensächlichkeiten. Wichtiger ist, ob dem Mann mit dem Verweis auf seine finanzpolitische Herkunft Unrecht widerfahren ist. Die Portugiesen stehen spätestens seit Ausbruch der Euro-Krise nicht eben im Ruf, solide Haushälter zu sein. Dass José Manuel Barroso
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