Der schwarze Krieger
legte.
Überrascht blinzelte er. Die Hand hielt ihn mit sanftem, aber entschiedenem Griff.
«Wer bist du?», flüsterte er heiser, während seine Augen die Dunkelheit vor ihm absuchten, als könne er doch etwas sehen. «Maria Magdalena? Die Mutter Gottes?»
Er wurde in einen Wagen gehoben, und sie fuhren los. Neben ihm saß das Mädchen oder der Engel oder vielleicht auch die Muttergottes. Obwohl sie nichts sagte, wusste er, dass sie durch ein Tor in einen Hof fuhren, die Wagenräder klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, und das Echo hallte von den Wänden wider. Man hob ihn heraus und wusch ihn, seine Wunden wurden in Öl gebadet und verbunden, dannwurde er zum Schlafen in eine kleine schmale Kammer gebracht. Warme, wollene Decken schützten ihn vor der Kälte.
Am nächsten Tag kam ein mürrischer Mann, sagte, er heiße Braccus und arbeite hier in diesem Armenkrankenhaus. Er trug den Bettler nach draußen in einen sonnigen Garten, der durch hohe Mauern vom Wind des nahen Meeres geschützt war. Der alte Mann wurde in eine Art Laube gesetzt und saß dort den ganzen Tag über. Er konnte sein Glück kaum fassen. Am Abend war die Nachtluft erfüllt von dem süßen Duft des Jasmins.
10.
Die Reise nach Jerusalem
Auch ich kannte sie. Ungefähr zu dieser Zeit, während ich weiterhin als Hauptschreiber im Amt für heilige Freigebigkeit – der Titel ist leider weit beeindruckender als die Aufgabe – tätig war, wurde ich in den Rang eines Gerichtsschreibers erhoben. Dies bedeutete, dass ich Protokoll führte über alle Vorgänge im Kaiserlichen Rat. Nach einigen Jahren, in denen ich diesen Dienst fleißig verrichtet hatte, war es nicht ungewöhnlich, dass einer der altgedienten Senatoren oder sogar der Kaiser selbst sich wegen der Auslegung einer Verordnung an mich wandte oder mich fragte, ob es für diese oder jene kaiserliche Verordnung bereits einen Präzedenzfall gab. Mit der Zeit bekam ich das Gefühl, gar kein Schreiber mehr zu sein, sondern eher ein wichtiger Berater. Ich wurde daher oft an den Hof des Westreiches in Ravenna, nach Mediolanum oder Rom gesandt und war so über alle wichtigen Begebenheiten unterrichtet.
Und auch ich verfiel dem Zauber der neuen, mädchenhaften Kaiserin. Welchem Mann erginge es nicht so?
Einmal, erinnere ich mich, begegnete sie mir, als ich gerade einen marmornen Korridor im Palast in Konstantinopel entlanghuschte. Ich war ungewöhnlich spät dran für die morgendliche Ratssitzung, denn ich hatte mehr Zeit als gewöhnlich auf dem Abort verbracht. Während ich dahineilte und beschloss, in Zukunft mehr Linsen zu essen, blieb die Kaiserin plötzlich stehen und lächelte mich an. Alle Gedanken an Stuhlgang und Linsen verflüchtigten sich augenblicklich. Ich verlangsamte meine Schritte, und sie bat michin einem überaus sanften Ton, ich möge mitkommen und mir einen Brief diktieren lassen.
«Eure Heiligkeit …», stammelte ich. «Ich würde nichts lieber als Eurem Wunsch entsprechen, aber ich … ich …»
Ein fataler Blick in jene riesigen dunklen Augen genügte, und ich war für immer verloren. Obwohl ich wusste, dass ich mir eine ordentliche Standpauke einhandelte, wenn ich der Versammlung fernblieb, folgte ich ihr brav in ihre Privatgemächer, um den Brief aufzunehmen. Mit pochendem Herzen stellte ich mir bereits vor, wie die Worte honiggleich von ihren Lippen in meine Feder fließen würden. Diese Frau war eine Hexe, eine Zauberin, aber eine überaus einnehmende. Eine Traumweberin, und zwar derart, dass man gar nicht mehr zu erwachen wünschte.
Natürlich wusste sie das. Ein amüsiertes Zucken umspielte ihren Mund, als sie mich so stammeln hörte, ihr bereits blind ergeben. Sie hätte mir befehlen können, auf das Fenstersims zu steigen und drei Stockwerke hinabzuspringen – ich hätte ihr gehorcht. Doch natürlich verlangte sie dies nicht. Sie war stolz, gewiss, und sich ihrer Schönheit durchaus bewusst – welche Frau wäre es nicht gewesen? Doch grausam? Nein. In einer grausamen Welt, an einem grausamen, unbeständigen Hof war Athenais niemals grausam. Sie liebte die ganze Menschheit mit einer großzügigen, spontanen Zuneigung.
Dann begann sie zu sprechen.
Meine Feder zitterte, und ich fing an zu schreiben.
***
Als ich später an jenem Vormittag zum kaiserlichen Kämmerer, einem hochgewachsenen, humorlosen Eunuchen namens Nicephoros, lief, um mich tausendmal zu entschuldigen,fertigte er mich nur mit einer wegwerfenden Bewegung seiner mit vielen Siegelringen
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